M94.5 Kulturkritik

Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures

/ / © KHM-Museumsverband Foto: Rafaela Proell

Ausstellungsobjekte aus der Antikensammlung, der Kaiserlichen Schatzkammer oder dem Münzkabinett klingen nicht unbedingt so, als wären sie eine 400km weite Reise wert. Ein Name tut es allerdings schon: Wes Anderson. Der für seine skurrilen, ästhetisch-bunten Filme bekannte US-Regisseur ist gemeinsam mit seiner Partnerin Juman Malouf dem Ruf des Kunsthistorischen Museums Wien gefolgt und hat dort eine Ausstellung von Objekten aus den KHM-Beständen kuratiert.

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Vom Spitzmaussarg zum Theaterrequisit: der Trailer gibt einen Vorgeschmack auf Andersons und Maloufs Objektauswahl

Es gibt nicht viele kulturelle Ereignisse, die Anreiz genug sind, eine mehrstündige Anreise auf sich zu nehmen. Christos „Floating Piers“ 2016 am Lago di Iseo war vielleicht eines davon, sicherlich auch die letzte documenta in Kassel und Athen. Das KHM gehört für mich nicht unbedingt dazu. Auch wenn die Sammlung zu den größten und bedeutendsten der Welt zählt: Gemälde Alter Meister und Kroninsignien kann ich auch zuhause in München sehen. Aber die Filme von Wes Anderson zählen zu meinen All-Time-Favourites – darum setze ich mich ins Auto und gehe kurzerhand für M94.5 auf Kulturreise.

Tilda Swinton und der „indifferente Biomüll“

Dass dieser große Name nicht nur mich anzieht, zeigt schon die Schlange an Besuchern, die ich vorfinde, als ich schließlich im KHM ankomme. 15 Minuten muss ich warten, bis ich an die Kasse darf. Kein Wunder: diese Ausstellung bekommt viel Publicity. Zur Vernissage reiste eigens Hollywood-Größe Tilda Swinton an, über die Eröffnung berichtete sogar die New York Times. Natürlich würden sich weit weniger Menschen diese Ausstellung ansehen, wenn sie nicht von einem US-Star kuratiert worden wäre.

Gerade das wird der Schau auch in vielen Rezensionen zum Vorwurf gemacht: frischer Wind und neue Zielgruppenerschließung dank der Hollywood-Brand Anderson. Und auch sonst geht die Kritik mit der Ausstellung größtenteils hart ins Gericht. Als „ein einziger überbordender Karneval“ und „Festspiele der Zufälligkeit“, als „Knorpel-Lego“ und „indifferenter Biomüll“ charakterisiert die Presse die Schau. Als zufällig, bunt und eklektisch ließe sich vielleicht aber auch der Anderson’sche Filmstil beschreiben, auch der ist nicht bei allen Kritiker*innen beliebt.

#accidentallywesanderson

Auf Instagram gibt es einen Hashtag, der genau diesen bunten Stil von Anderson feiert. Unter #accidentallywesanderson sammeln Nutzer Fotos mit skurrilen, bunten Motiven, die aussehen, als wären sie direkt aus einem Wes-Anderson-Film gepurzelt. Mit genau diesem Hashtag könnte man wohl auch zahlreiche Objekte in den KHM-Depots versehen. Vom titelgebenden Miniatursarg für eine Spitzmaus über eine Kinder-Ritterrüstung wirken viele Objekte einfach zu ungewöhnlich, um real zu sein. Aus den über vier Millionen Objekten aus einer Zeitspanne von etwa fünftausend Jahren hat das Museum Anderson und Malouf frei auswählen lassen. Anything goes, was Auswahl und Präsentation betrifft.

Auch räumlich hat die Sonderausstellung einen exponierten Platz erhalten:  im letzten Saal der Kunstkammer haben Anderson und Malouf sie auf acht kleineren Kabinetten eingerichtet. Es ist natürlich kein Zufall, dass sich die Schau ausgerechnet an dieser Stelle befindet. Denn das Ausstellungsprinzip von Spitzmaus Mummy ist ein ähnliches wie das der Kunst- und Wunderkammern der Renaissance: die Welt in ihrer Größe und Vielfältigkeit im Kleinen abbilden. Sammeln um der staunenden Betrachter Willen, weniger nach wissenschaftlichen Kriterien.

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KHM-Kurator Jasper Sharp über die Zusammenarbeit mit Anderson und Malouf

Analog dazu folgt die Vitrinenanordnung in der Anderson-Schau dem Entdecker-Prinzip: mal hängen die Schaukästen auf über zwei Metern Höhe, mal nur wenige Zentimeter über dem Boden: die Zuschauer*innen müssen sich hinknien, auf den Boden werfen, ordentlich den Hals verrenken, um die Objekte sehen zu können. Jedes Kabinett folgt einem anderen übergeordneten Prinzip. Ein Raum versammelt ein smaragdenes Schmuckkästchen, alt-ägyptische Uschebtis und einen ausgestopften Laubfrosch – Ordnungsprinzip: grün. Ein anderer vereint eine leere Vitrine aus dem 19. Jahrhundert (das allein ist ein Genie-Streich: eine Vitrine als Ausstellungsobjekt, welches den/die Besucher*in rätselnd und nach dem eigentlichen Objekt suchend zurücklässt!) mit einem Futteral für vier Querflöten und einem Kanopen-Gefäß – Ordnungsprinzip: Verpackungen.

Die Ausstellungsräume im Kunsthistorischen Museum Wien
Quelle: KHM-Museumsverband

Rundum gewährt die Ausstellung ein spielerisches Erkunden der Objekte und des Raumes. Das kann man naiv und eben gerade so für die kunstferne Masse tauglich finden, oder eben angenehm niederschwellig und ein wenig selbstironisch. Trotzdem empfiehlt es sich, am Einlass in einen Audioguide zu investieren – die Anordnungsprinzipien erschließen sich nämlich nicht immer sofort. Neben einer gut verständlichen Einordnung bietet der Audioguide auch ein Interview mit Wes Anderson und Juman Malouf, das einen interessanten Einblick in die Entwicklung der Ausstellung liefert.

Fazit: Ist das eine Reise wert?

Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures ist sicherlich nicht das einzige und nicht das erste Ausstellungsprojekt dieser Art. Mit dem althergebrachten kunsthistorischen Kurationsprinzip gebrochen hat beispielsweise schon 1992 Peter Greenaway mit seiner Skandalausstellung 100 Objects to Represent the World (übrigens ebenfalls in Wien). Trotzdem überzeugt die Anderson-Schau mit ihrem niedrigschwelligen Ansatz und der optisch hochgradig ansprechenden Präsentation, die es Zuschauer*innen ermöglicht, im Museum unentdeckte Schätze zu entdecken und das Rätselhafte mit kindlicher Freude zu bestaunen. Alles ganz ohne erschlagende Ausstellungstafeln voll Textwüste, ganz ohne ständig einen Erkenntnisgewinn im Blick zu haben und ganz ohne die Voraussetzung eines kunst- oder kulturhistorischen Vorwissens.

Kunst darf und soll auch einmal so präsentiert werden – ob man dafür tatsächlich eine mehrstündige Anfahrt auf sich nehmen will, kann jede*r selbst entscheiden. Mir war es das wert.

„Spitzmaus Mummy in a Coffin and other Treasures“ ist noch bis zum 28. April 2019 im Kunsthistorischen Museum Wien zu sehen. Öffnungszeiten der Sonderausstellung, Eintrittspreise und nähere Informationen unter www.khm.at.