M94.5 Filmkritik

Christo – Walking on Water

/ / Bild: Alamode Filmverleih

Wann hat man schon mal die Gelegenheit auf Wasser zu gehen, so wie es nur Jesus der Legende nach getan haben soll? Im Sommer 2016 macht der Verhüllungskünstler Christo genau das möglich. Er realisiert sein Projekt „The Floating Piers“ auf dem Lago d’Iseo und schafft damit das bestbesuchte Kunstereignis des Jahres. Regisseur Andrey M. Paounov hat den Künstler und sein gigantisches Projekt mit der Kamera begleitet.

Der erste Gedanke, der dem Zuschauer zu Beginn des Dokumentarfilms durch den Kopf schießt, lautet: „Wie schade, dass ich damals nicht hingefahren bin. Das wäre sicher eine einmalige Erfahrung gewesen.“ Und tatsächlich wird man diese Erfahrung auch nicht mehr machen können, denn Christo realisiert keines seiner Kunstwerke ein zweites Mal. Welch ein Glück, dass nun wenigstens ein Film existiert, der den flüchtigen Moment der schwimmenden gelben Stegstraßen im Lago d’Iseo festgehalten hat.

Eine alte Idee bekommt endlich Form

„Christo – Walking on Water“ zeigt die Entstehung und Realisierung eines Projekts, dessen erster Versuch der Umsetzung bereits im Jahr 1970 stattfand. Damals wollte Christo zusammen mit seiner Frau Jeanne-Claude seine schwimmenden Straßen in Argentinien aufbauen, doch die beiden bekamen keine Genehmigung. Auch später in Japan scheiterten sie an den Behörden. Als 2009 Jeanne-Claude starb, wurde das Projekt zunächst auf Eis gelegt, bis sich Christo dann doch dazu entschloss, diese lang gereifte Idee in die Tat umzusetzen und in Italien auf Zustimmung stieß. Es war der Beginn von etwas Großem.

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Trailer: Christo – Walking on Water

Der Wunsch nach „echten“ Dingen

Die Einblicke in Christos Arbeit und Persönlichkeit sind von der Kamera gut eingefangen. Der Zuschauer lernt einen Künstler kennen, der von einer Vision getrieben, stur und unnachgiebig an ihrer Verwirklichung festhält. Der mittlerweile schon 81-Jährige hat genaue Vorstellungen davon, wie sein Kunstwerk auszusehen hat und scheut sich auch nicht davor, sich deshalb mit seinen Kollegen und besonders seinem Neffen und Projektleiter Vladimir anzulegen. Man lernt einen älteren Herren kennen, der manchmal bockig wie ein kleines Kind ist und trotzdem mit einer Beharrlichkeit an seinen Ideen festhält, dass es eine Inspiration ist. Ein Mann, der es nicht so mit der modernen Technik hat, sondern für den noch die „echten“ Dinge zählen. So etwas wie den echten Wind auf der Haut zu spüren, den echten Regen und die echte Sonne. Dem es wichtig, ist seine Umgebung mit all seinen Sinnen zu erfahren und nicht durch virtuelle Realität zu ersetzen. Das Material für seine Floating Piers muss deshalb auch so beschaffen sein, dass die Bewegung der Wellen beim Darüberlaufen zu spüren ist. Die Besucher sollen tatsächlich das Gefühl haben, über Wasser zu laufen.

Ein Projekt mit unglaublichen Dimensionen

Immer wieder muss man als Zuschauer des Films staunen. Über die unglaublichen Dimensionen, die dieses Unterfangen angenommen hat. Darüber, wie viele Leute involviert sind, wie viel Planung es bedarf, wie viel Material. Drei Kilometer lang sind die Wege, die das Festland und zwei Inseln miteinander verbinden, 220 000 Kanister werden aneinandergehängt, 20 Tonnen gelber Stoff wird angefertigt und darüber gelegt. Insgesamt kostet das Kunstwerk 15 Millionen Euro, ganz zu Schweige von den Menschenmassen, die aus aller Welt anreisen, um die temporären Wasserwege zu begehen. 1,2 Millionen waren es am Ende, obwohl man höchstens mit 500 000 Besuchern gerechnet hatte. „This is total madness“, sagt Christo an Tag zwei, als immer mehr Busse mit Menschen kommen. Doch es ist auch etwas Einmaliges, geschaffen für einen kurzen Zeitraum von sechzehn Tagen, frei zugänglich für jeden, erhaben und schön.

Stimmig und gut beobachtet

Unaufdringlich und doch genau beobachtend erzählt Regisseur Paounov in „Christo- Walking on Water“ die Geschichte eines künstlerischen Ausnahmeprojekts und -künstlers. Es gibt keine direkten Interviews mit den teilhabenden Personen, die Kamera ist vor allem stiller Begleiter und fängt geschickt Momente ein. Momente, in denen man Christos Denk- und Arbeitsweise kennenlernen darf, seine besondere Beziehung zu seinem Neffen und Operations Director Vladimir. Aus 700 Stunden Filmmaterial hat Paounov eine stimmige und interessante Dokumentation zusammengefügt. Mit passender Musik hinterlegt, zeigt er, wie ein Künstler keine Kosten und Mühen scheut und Menschen Wind und Wetter trotzen, um ein beeindruckendes Kunstwerk auf die Beine zu stellen, das es so noch nicht gegeben hat und auch so schnell nicht mehr geben wird.

Christo-Walking on Water“ läuft ab dem 11. April im Kino.