Lebensoptimierung

Die toxische „Alles ist möglich“ Mentalität

/ / Bild: M94.5/Marie Hofer

Im Internet, auf Instagram oder in diversen Blogbeiträgen werden wir zugekleistert mit Phrasen und vermeintlich sofort umsetzbaren Aufforderungen zur Verbesserung des eigenen Lebens. Man könne alles schaffen, wenn man es nur wolle – und glücklich kann natürlich auch jeder sein, wenn man sich nur genug anstrengt. Doch mit solchen Lügen der Selbstoptimierungsindustrie ist wirklich niemandem geholfen, findet unser Autor. Eine Verhaltenskritik.

Du hast ein Problem? Hier sind 10 einfache Schritte, wie du dieses Problem lösen kannst. So versprechen es zahlreiche Tools im Netz:

Klingt doch alles ganz gut machbar – zumindest mit ein bisschen Disziplin.

Doch leider – oder zum Glück – ist diese Welt nicht so einfach, wie sie hier dargestellt wird. Echte Probleme lassen sich nicht durch das Einhalten einer einfachen „Daily-Routine“ lösen. Damit keine Missverständnisse entstehen: Wasser trinken, Sport treiben und gesunde Ernährung sind sicher gute Grundlagen, um nicht zu sterben. Aber es ist doch stark zu bezweifeln, dass diese lebenserhaltenden Maßnahmen das  Leben so grundlegend verändern, wie es von einigen Influencern propagiert wird.

Ist Mindset alles?

Genau da kommt angeblich das „Mindset“ ins Spiel. All das, was Daily-Routines, Workouts und andere Formen der Beschäftigungstherapie nicht lösen können, soll im Kopf gelöst werden. Die Devise ist, dass all die Probleme nur im Kopf existieren. Deshalb liegt es nun an dir, deine Wahrnehmung auf diese Probleme zu ändern, um die Probleme zu lösen. Mindset is everything!

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Diese Herangehensweise mag für manche Menschen in bestimmten Lebenslagen sicherlich sehr gut funktionieren. Ein Autounfall ist für einen gut verdienenden Menschen mit Vollkasko-Versicherung bestimmt recht leicht wegzustecken. Einfach freuen, dass man unverletzt und nicht gestorben ist – und schon fühlt man sich besser.

Wenn die betroffene Person aber nicht so wohlhabend ist und auf das Auto als Transportmittel für Arbeit, Familie oder Angehörige angewiesen ist, sieht die Situation ganz anders aus. Ein kaputtes Auto heißt kein Weg zur Arbeit, heißt kein Gehalt. Eine Familie, die auf dieses Gehalt angewiesen ist, steht dann vor dem Aus. Mindset hilft da nicht viel.

Mindset ist vieles – nur nicht die Lösung

Der Mindset-Ansatz ignoriert geflissentlich alle möglichen Formen der strukturellen Benachteiligung. Ob – wie erwähnt – den allseits vorherrschenden Unterschied zwischen arm und reich, die rassistische Benachteiligung von nicht-weißen Menschen oder die systematische Unterbezahlung von Frauen.

Auch psychische Erkrankungen werden dabei nicht beachtet. Wer beispielsweise eine schwere Depression hat, dem machen es die Symptome unmöglich, das Mindset einfach so zu ändern. Die Sicht auf die Dinge bleibt schwarz, egal wie sehr man sich bewusst wird, dass das alles nur im Kopf hinter einer Erkrankung verborgen ist. Ein „lächel doch mal“ oder „sieh das doch nicht so negativ“ helfen da überhaupt nicht.

Das Kernproblem liegt in der universalisierenden Art, mit der dieses Mindset-Prinzip propagiert wird. Die Ansicht, dass ein angepasstes Mindset bei jedem Menschen überall auf der Welt und zu jeder Zeit das Leben erleichtern würde, ist ignorant, naiv und elitär. Denn die momentane Zeit ist gezeichnet von strukturellen Problemen und existentiellen Krisen, sei es durch die Corona-Situation oder durch soziale Ungerechtigkeit auf der ganzen Welt. In einer solchen Zeit ist niemandem mit “Mindset ist alles” geholfen, sondern verführt im schlimmsten Fall zu Angeboten von Lösungsstrategien, die zum Scheitern verurteilt sind.