Ein tabuisiertes Problem

Weibliche Genitalverstümmelung

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Alle elf Sekunden wird ein Mädchen beschnitten. Weltweit sind mehr als 200 Millionen Frauen und Mädchen von “FGM”, female genital mutilation, (weibliche Genitalverstümmelung) betroffen. Ein tabuisiertes Thema, das die Betroffenen häufig alleine zurücklässt. Was sind die Gründe dahinter?

Female genital mutilation wird hauptsächlich in afrikanischen Ländern praktiziert, aber auch in Lateinamerika, Asien und im Nahen Osten gibt es Fälle dieses brutalen Vorgehens. In Deutschland leben etwa 70.000 betroffene Frauen.

Betroffene der weiblichen Genitalverstümmelung sind junge Mädchen, die oft gerade mal zwischen fünf und dreizehn Jahren alt sind. Aber nicht nur ihnen kann das passieren: In manchen Fällen werden auch Säuglinge oder erwachsene Frauen beschnitten. 

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DIE ARTEN DER WEIBLICHEN GENITALVERSTÜMMELUNG

Diese Art von Beschneidung kann sich von Land zu Land unterscheiden, es gibt dabei verschiedene Typen: Bei Typ I, der Klitoridektomie, wird zum Teil oder komplett die Klitoris der Betroffenen entfernt. Wenn noch das Herausschneiden der kleinen Schamlippen dazukommt, nennt sich das die Exzision, das ist Typ II. Die invasivste und grausamste Form der weiblichen Genitalverstümmelung ist Typ III – die Infibulation. Dabei werden die äußeren Teile des Genitals entfernt, dazu zählt die Klitoris, die äußeren und oft auch die inneren Schamlippen. Die Vulva wird dann zusammengenäht – übrig gelassen wird ein kleines Loch, durch das Urin und Menstruationsblut abfließen sollen. Die Naht darf erst beim ersten Geschlechtsverkehr oder bei einer Geburt aufgerissen werden. Aber auch jede andere Form von Verletzungen des Genitalgewebes, zum Beispiel durch Einschneiden oder Einstechen, wird als weibliche Genitalverstümmelung bezeichnet und fällt unter Typ IV. Die Genitalverstümmelung findet ohne oder mit sehr kurz anhaltender Betäubung statt.  

DIE RECHTFERTIGUNG: PATRIARCHALES DENKEN, TRADITION, RELIGION

Dieses grausame Verfahren wird oft durch eines gerechtfertigt: Tradition. Seit Jahrhunderten ist die weibliche Genitalverstümmelung in vielen Kreisen fest verankert. Die Kreise, in denen die Beschneidung praktiziert wird, kommen meistens aus stark patriarchal geprägten Ländern: Die Frau nimmt dort einen zweitrangigen Platz an und hat bestimmte Rollenbilder zu erfüllen. Ihre Jungfräulichkeit steht im Zusammenhang mit der Familienehre. Um die bis zu ihrer Hochzeit zu gewährleisten, wird ihnen die Klitoris entfernt, um ihre sexuelle Lust einzuschränken. Das funktioniert durch dieses Verfahren aber nicht. Die sexuellen Empfindungen der Betroffenen werden reduziert, das Verlangen nach Sex muss dadurch nicht zwingend abgeschwächt werden. Für viele spielt bei dem Verfahren die Religion eine große Rolle: Auch hier geht es um die “Reinheit” der Frau, die angeblich nur durch diese Art von Verstümmelung gewährleistet sei. Einige Bezugspersonen der betroffenen Frauen und Mädchen sehen aber keine andere Möglichkeit, als ihre jungen, weiblichen Familienmitglieder beschneiden zu lassen: Sie haben Angst vor Stigmatisierung und der Verstoßung durch ihre Gemeinde und Familie, wenn sie sich nicht der Tradition beugen. Der Frau wird dadurch jede Möglichkeit genommen, ihre Sexualität frei auszuleben. 

Diese Mädchen kommen auf die Welt wie alle anderen Mädchen. Und sie gehen zurück, unter die Erde, mit dieser Narbe.

Angelina Akpovo, Aktivistin

FOLGEN FÜR BETROFFENE FRAUEN UND MÄDCHEN

Bei so einem Eingriff tragen die Frauen und Mädchen, die ihn durchleben müssen, schwere Folgen davon. Folgen, die sie oft ihr ganzes Leben lang begleiten. Zum Einen sind da die physischen Auswirkungen: Die Betroffenen erleiden häufig starke Blutungen, und dass nicht nur beim Geschlechtsverkehr oder bei der Geburt, bei der es auch durch die Verstümmelung zu Komplikationen kommen kann. Manche Frauen und Mädchen können nach dem Eingriff auch gar keine Kinder mehr bekommen. Außerdem haben Betroffene oft unvorstellbare Schmerzen bei alltäglichen Dingen wie dem Urinieren. Die Schmerzen können durch eine Infektion verstärkt werden. Solche Infektionen gibt es häufig nach dem Eingriff, weil mit unhygienischen und unsterilen Utensilien gearbeitet wird.

In 15 Prozent der Fälle endet die Genitalverstümmelung mit dem Tod.

Der Eingriff nimmt den Frauen, die ihn überleben, auch etwas sehr Schönes und Wichtiges: Ihr sexuelles Empfinden. Durch die Entfernung der Klitoris erlebt kaum eine Betroffene noch einen Orgasmus oder generelle sexuelle Befriedigung. Aber das muss nicht zwingend so bleiben. 

HILFEMÖGLICHKEITEN FÜR BETROFFENE

Es gibt Ärzt:innen, die den Frauen helfen können: Durch eine Rekonstruktion können sie den Frauen unter anderem zu einem besseren Körpergefühl verhelfen, indem sie die Vulva von außen wiederherstellen. Der Eingriff verhilft auch dabei, dass die Frauen weniger Schmerzen erleiden. Sogar eine natürliche Geburt ist oft nach dieser Operation wieder möglich. Außerdem wird ihnen zum Teil das Gefühl in der Klitoris zurückgegeben: Sie müssen nicht mehr auf ihr sexuelles Empfinden verzichten. Neben der Hilfe, die körperlichen Folgen einzuschränken, gibt es auch mentale Unterstützung für die Frauen: Mit Vereinen wie “Nala e.V.” wird Unterstützung und Aufklärung angeboten. Betroffene Frauen und Mädchen werden durch solche Unterstützungsangebote betreut und erhalten direkte Hilfe. Das Ziel: Betroffene sollen so weitestgehend ohne psychische und physische Schmerzen leben können.

Artikel von Romy Hölzel