Der Mythos um das “Jungfernhäutchen”

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Viele Mythen ranken sich um das um das sogenannte “Jungfernhäutchen”. Diese können sich nicht nur psychisch sondern auch körperlich und sogar tödlich auf Frauen auswirken.

Das “Jungfernhäutchen” reißt und hinterlässt rote, blutige Flecken auf dem Laken: Viele denken, dass genau so das erste Mal ablaufen muss. Eine Blutung beim ersten Geschlechtsverkehr der Frau ist aber nur einer der vielen Mythen, die sich um das “Jungfernhäutchen” -, medizinisch korrekt: “Hymen”, – gebildet haben. Diese Mythen werden aber nicht nur innerhalb streng patriarchaler Familien unterstützt, in denen die Ehre der Familie oft mit der Reinheit der Frau verknüpft ist. Solche Überlieferungen begegnen uns regelmäßig in verschiedenen Formen: Ob in Büchern, Pornos oder Filmen – Jungfräulichkeit spielt oft eine riesige Rolle. Dabei ist die Darstellung der Jungfräulichkeit und Entjungferung weit von der Realität entfernt. 

Viele stellen sich das Hymen als eine Art dünne Folie vor, die beim ersten Geschlechtsverkehr einreißt. Dabei ist es eigentlich eine dünne Schleimhautschicht, die das äußere Geschlechtsorgan vom inneren abgrenzt. Sie ist sehr elastisch und dehnbar, wie ein Haargummi. Die Dehnbarkeit des Hymens sollte man immer im Hinterkopf behalten, wenn man sich die Mythen ansieht. 

Oft wird das Jungfernhäutchen mit einem Haargummi verglichen: elastisch und dehnbar. Bild: Shutterstock/ Anjurisa

“Das “Jungfernhäutchen” reißt beim ersten Geschlechtsverkehr”

Wenn das Hymen strapaziert wird, kann es reißen – das muss es aber nicht. Es kann sich auch einfach anpassen und ausdehnen. Selbst wenn das “Jungfernhäutchen” reißt, muss das nicht beim ersten Mal geschehen, es kann auch gar nicht reißen beim Sex. Und das Hymen kann auch reißen, auch wenn man noch keinen Geschlechtsverkehr hatte, beispielsweise bei der Verwendung von Sexspielzeugen für die Selbstbefriedigung. 

“Jede Frau blutet beim ersten Mal”

Das ist der vermutlich schädlichste Mythos, weil er einen enormen psychischen Druck auf die Frau ausübt. Der Mythos besagt, dass jede Frau bei ihrem ersten Geschlechtsverkehr blutet – wenn das nicht der Fall ist, könne sie angeblich gar keine Jungfrau sein. Auch diese Vermutung ist falsch. Nur etwa die Hälfte aller Frauen erleben eine Blutung bei ihrem ersten Mal. Die muss nicht einmal durch das Einreißen des Hymens entstehen, auch eine Verletzung an der Vaginalschleimhaut kann eine Blutung hervorrufen. Und selbst wenn das Hymen reißt, muss es nicht bluten. Das sagt also nichts über die Jungfräulichkeit der Frau aus.  

Woher kommen diese Mythen?

Die Mythen um das Hymen sind schon seit Jahrhunderten im Umlauf. Es gibt verschiedene Vermutungen, wo sie ihren Ursprung haben könnten. Eine mögliche Antwort findet sich in der Religion, beispielsweise im Christentum: Maria die Jungfrau mit der unbefleckten Empfängnis – das gilt heute noch als Ideal und sorgt dafür, dass auf die Jungfräulichkeit teils ein unglaublicher Wert gelegt wird. Diese Idealisierung der Jungfräulichkeit führte so weit, dass Nachweise der “Unbeflecktheit” von Frauen gesucht wurden, beispielsweise durch eine Blutung beim Geschlechtsverkehr.  

Viele legen einen großen Wert auf die Jungfräulichkeit und “Reinheit” der Frau, was als eine Art Werkzeug des Patriarchats dient. Frauen werden dadurch an Männer gebunden und unterdrückt: In einigen streng religiösen oder streng patriarchalen Familien wird der Wert der Frau an ihrer sexuellen Reinheit gemessen, und der Mann habe die Aufgabe, diese Reinheit bis zu ihrer Ehe zu gewährleisten. Wenn die Frau dennoch vor der Ehe Sex hat, wird sie von der Familie verstoßen. Auch körperliche Gewalt oder sogar Mord können Folgen sein. Der Wert der Unberührtheit steht in Verbindung zu einigen Traditionen, in denen die Frau sich bis zu ihrer Ehe enthalten muss. Das gibt es zum Teil nicht nur im Christentum: Auch im Islam kommt es vor, dass die Frau bis zur Hochzeit keinen Geschlechtsverkehr haben darf. 

Die Folgen der Mythen für Frauen

Frauen, die in einem Umfeld aufwachsen, in dem enormer Wert auf ihre Jungfräulichkeit gelegt wird, stehen oft unter großem psychischen Druck. Aus Angst, ihre Jungfräulichkeit nicht nachweisen zu können, führen sie sich teilweise Plättchen aus Tierblut in der Hochzeitsnacht vaginal ein, um für Blutflecken auf dem Laken zu sorgen. Auch Rekonstruktionen des Hymens werden durchgeführt, bei denen die Haut in der Vagina zusammengenäht wird, damit diese durch die Penetration reißt, was zu einer Blutung führt. Solche Eingriffe sind nicht nur teuer, sondern auch gefährlich. Sie können zu Infektionen und Vernarbungen führen. Einige Frauen bringen also für den Schein der Jungfräulichkeit ihre eigene Gesundheit in Gefahr. 

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Die Mythen führen auch zu Erniedrigungen der Frauen, beispielsweise durch den “Zwei-Finger-Test”. Diesen Test mussten Rekrutinnen im indonesischen Militär noch bis 2015 durchführen lassen. Dabei wurde bei den Frauen mithilfe von zwei Fingern nachgetastet, ob das Hymen noch intakt war. Wenn dieses nicht vorhanden war, durften sie den Job im Militär nicht antreten, obwohl es nichts über ihre Qualifikationen als Soldatinnen aussagte.

Die schlimmste Folge der Mythen um das “Jungfernhäutchen” sind allerdings Femizide, in dem Fall die “Ehren”-Morde. Etwa 5000 Frauen werden jährlich in 14 verschiedenen Ländern ermordet, weil sie nicht die patriarchalen Erwartungen erfüllen, wie beispielsweise die “Reinheit” und “Unberührtheit”. Die Mythen um das Hymen gehen also so weit, dass sie für weibliche Personen nicht nur gesundheitliche, sondern tödliche Folgen haben können. 

Artikel von Romy Hölzel