
Nur die Spitze des Schneebergs
Das US-Hip-Hop Duo Clipse, bestehend aus den Brüdern Malice (52) und Pusha T (48), veröffentlicht nach 16 Jahren wieder ein Album. Mit Let God Sort Em Out bricht das Duo nicht mit den Konventionen, die Clipse Anfang der 2000er groß machte: Disses gegen die erfolgreichsten Rapper auf Pharrell Williams produzierte Beats, Label-Dramen, Mode, Gott und ganz viele Anspielungen auf ein weißes Puder. Doch unter der Schneedecke ist noch viel mehr vergraben.
Ein neues Clipse Album schien lange undenkbar. Die ersten beiden Alben Lord Willin’ (2002) und Hell Hath No Fury (2006) sind für den amerikanischen Hip-Hop-Sound der 2000er-Aushängeschilder – auch Dank der Produktion von The Neptunes, bestehend aus Pharrell Williams und Chad Hugo. Die sorgten dafür, dass in Schulen Jugendliche auf Schulbänke trommelten, um Clipse-Beats nachzuahmen. Auf Til the Casket Drops (2009), gab es mehr Produzenten. Die Brüder versuchten, sich etwas mehr vom Straßensound und den Drogenthemen zu lösen. Doch kurz nach Veröffentlichung folgte die Auflösung – ohne Streit und ohne Drama. Malice, der eigentlich Gene Thornton heißt, fand zu Gott, nannte sich fortan No Malice, also „keine Bosheit“. Er widmete sich christlichem Rap. Mit dem Clipse-Image konnte er sich nicht mehr identifizieren. Eine Reunion schien ausgeschlossen.
Allein gegen alle
Pusha T, der bürgerlich Terrance Thornton heißt, hingegen blieb dem bekannten Stoff treu: Drogengeschäfte, Designermode, raffinierte Metaphern rund ums Kokain und unerschütterlichem Selbstbewusstsein. Er entwickelte sich zu einem der angesehensten Lyriker der US-Rap-Szene, veröffentlichte bei Kanye Wests Label GOOD Music und bei Def Jam bis 2022 vier Soloalben. Daytona (2018) sorgte für Furore, nicht zuletzt wegen eines Beefs, der bis heute nachhallt.
Auf dem Song „Infrared“ warf Pusha T dem Superstar Drake vor, Ghostwriter zu benutzen. Drake antwortete mit „Duppy Freestyle“, ein Fehler, wie sich zeigen sollte. Drake nannte den Namen von Pushas Freundin und zweifelte dessen Kredibilität als Drogendealer an. Darauf konterte dieser mit „The Story of Adidon“. Der Disssong, der den die Existenz von Drakes Sohn Adonis aufdeckte und eine geplante Adidas-Kampagne ruinierte, indem Drake seine neue Modelinie mit seinem Sohn vermarkten wollte. Der Diss, dass der Sohn nur zur Vermarktung nütze, demütigte Drake stark und klarmachte: Mit Pusha T sollte sich niemand anlegen. Drake gab nach mehr als einem Jahr zu, dass er den Beef verloren habe. Weitere kleinere Disses von Drake an Pusha T und seinem Freund Pharrell gingen jedoch weiter.
Pusha hingegen widmete sich seiner Familie. Er heirate und bekam einen Sohn. Es dauerte 4 Jahre, bis Pusha sein neues Album vorstellte. Auf It is Almost Dry (2022) zeigte er erneut seine Detailverliebtheit, um sich als einen der besten Lyriker im US-Hip-Hop zu zementieren. Auch mit dabei, auf dem letzten Song sein Bruder No Malice. Pusha machte klar, dass sein es sein größter Wunsch sei, ein neues Clipse-Album aufzunehmen. Ein Wunsch, der in Erfüllung gehen sollte.
Die Wiedervereinigung
Let God Sort Em Out hätte eigentlich schon 2024 erscheinen sollen. Bei Pharrell Williams’ erster Louis-Vuitton-Show im Sommer war mit Chains & Whips erstmals neuer Clipse-Sound zu hören, begleitet von Malice und Pusha T selbst, die mit Ledermänteln über die Pont Neuf liefen. Die Show war ein Statement: Clipse ist zurück. Doch der Track blieb zunächst unveröffentlicht. Auf Social Media tauchten Albumtitel, Merchandise-Ankündigungen und ein paar kleinere Anspielungen auf, doch konkrete Informationen blieben aus.

Im vergangenen Jahr wurde schließlich klar: Clipse wartete auf ein Feature. Doch es ging um mehr als kreative Details. Es ging um Labelpolitik. Universal Music Group (UMG) und das Tochterlabel Def Jam verweigerten die Freigabe für einen Feature-Part von Kendrick Lamar. Grund: Der eskalierende Beef zwischen Kendrick und Drake. UMG befindet sich in einem Rechtsstreit mit Drake, der dem Konzern vorwarf, Kendricks Diss-Track „Not Like Us“ aktiv gefördert zu haben. In dem Song wird Drake unter anderem pädophiler Neigungen bezichtigt. Dass Kendrick und Pusha, beide bekennende Gegner Drakes, nun gemeinsam auf einem Track auftauchen, war für UMG offenbar zu heikel. Das Label verlangte, Kendricks Part zu zensieren oder zu ganz streichen. Clipse weigerten sich. Es sei kein Diss auf dem Song. Malice nannte die geforderte Zensur, eine Einschränkung von afroamerikanischer Kunst. Die Konsequenz: das Duo wollte Def Jam/UMG verlassen. Jedoch war dafür ein hoher siebenstelliger Millionenbetrag fällig. Gut, dass Pusha T mit dem Hip-Hop-Milliardär Jay-Z befreundet ist. Der hat auch ein Label namens Roc Nation. Er half Clipse aus ihrem Vertrag zu kommen und nahm sie unter Vertrag.
This is Culturally Inappropriate
Am 11. Juli 2025, nach 16 Jahren, veröffentlichte das legendäre Hip-Hop-Duo Clipse sein neues Album Let God Sort Em Out. Malice und Pusha T liefern auf 13 Tracks das, was sie seit den frühen 2000ern auszeichnet: kompromisslosen Straßenrap, clever verpackte Metaphern, biblische Referenzen, Mode, Lebenserfahrungen und jede Menge Selbstbewusstsein. Mit dabei ist die erste Liga des US-Hip-Hops: u.a. Tyler, the Creator, Nas, Pharrell Williams und ein unzensierter Kendrick Lamar.
Im Opener The Birds Don’t Sing rappen die Brüder über ihre 2021 verstorbenen Eltern. Malice, dem eine so lange Auszeit von Clipse raptechnisch nicht anzumerken ist, beschreibt, wie er seinen Vater tot auffand. Spirituell sei er aber weiterhin da. Sein Vater ist auch der Grund für sein Comeback: „I can hear your voice now, I can feel your presence. Askin’ “Should I rap again?”, you gave me your blessing.“ Am Ende des Songs tritt noch Stevie Wonder auf. Der Sänger spricht. So sollen wir sie jeden Moment mit der Familie wertschätzen.
Chains & Whips mit Kendrick Lamar ist untermalt von einer E-Gitarre, die Lenny Kravitz zupft. Clipse, ist aggressiv, deutlich und rappen über dem Beat über die Bibel, Uhrensammlungen, Antworten Rappern, die sich negativ über Pusha geäußert haben und legen ihre Lebensweisheiten der Hörerschaft nah. Ein Song, der sofort den Kopf nicken lässt. Der fast zensierte Kendrick Lamar Vers stellt sich als harmlos heraus, lässt den Kopf aber noch etwas schneller nicken:
„Therapy showed me how to open up; it also showed me I don’t give a fuck.“- Kendrick Lamar auf Chains & Whips
„Therapy showed me how to open up; it also showed me I don’t give a fuck.“ Auch auf P.O.V. ist ein hochkarätiger Gast dabei. Tyler, the Creator, von Pusha T als „Number 1 Clipster“ bezeichnet, ein Begriff für Hardcore-Fans der Gruppe. Tyler klingt, als hätte er 16 Jahre auf diesen Moment gewartet. Seine Delivery sitzt, sein Humor passt perfekt zu Clipse: „My ***** Push keep dirty white moving like mosh pits.“ Tyler weiß genau, womit er anderen Clipstern eine große Freude machen kann. So auch Pusha, bei dem manche Verse, den Hörer:innen den Glauben geben, sich alles auf der Welt leisten zu können und über alles und jeden zu urteilen.
„Yellow Dimants look like Pee-Pee“ – Pusha T auf Ace Trumpets
Und so geht das Album auch weiter: Die nötigen Flexereien, keine Längen auf den großartigen Pharrell-Beats und hier und da etwas Religiöses. Let God Sort Em Out trägt den Warnhinweis „Culturally Inappropriate“ und das zurecht. Viele Songtitel sind Akronyme, die beim Entschlüsseln für Schmunzler sorgen. So steht M.T.B.T.T.F. etwa für: Mike Tyson Blow to the Face. Auch wenn der Fokus weniger auf dem weißen Puder liegt, Kokain-Anspielungen finden sich reichlich. Auf Inglourious Basterds rappt Pusha T: „Catch me in the kitchen where the dope is; With an apron that’s whiter than the Pope’s is.“ Nur Gott kommt noch häufiger vor.
Trotzdem ist das Album kein christlicher Rap. Es ist vielmehr ein spirituelles Bekenntnis zu Freunde und Familie, aber auch Statussymbole, beispielsweise sind in Pushas Augen Menschen, die einen Audi fahren arm. Und wenn jemand eine Uhr kaufe, schaffe er sich ganze Sammlungen an. Die Erkenntnis: Pusha T hat viel Geld. Die wahre Offenbarung ist aber Malice. Kein Schimpfwort und doch bleiben seine Verse gnadenlos. So sehr, dass selbst sein Bruder gelegentlich Mühe hat, mitzuhalten. Mit seinem Comeback reiht sich Malice wieder in die erste Liga der Hip-Hop-Lyriker ein.
Pusha T wiederum glänzt mit seinem Flow, seiner klaren Aussprache, seiner Aura und eben den kleinen Disses, die ihn unverkennbar machen. Für Clipse hat er auch nicht an Qualität verloren. Pusha T ist einer der besten Rapper. Das weiß er auch. Auf dem Album ist sein Grinsen allgegenwärtig. Das ist Stolz. Stolz, dass er wieder mit Malice Musik macht und dass er weiterhin einer der besten Rapper ist. Das färbt ab. Wer das Album hört, bekommt ein ähnliches Selbstvertrauen.
Let God Sort Em Out macht klar, dass Rapper auch mit um die 50 noch zu Großem fähig sind. Clipse sind zurück und das besser als denn je.