DANCE 2019

Minutemade for DANCE

/ / Bild: Dieter Hartwig

Innerhalb von nur fünf Tagen eine Choreografie auf die Beine stellen, noch dazu mit einem Ensemble, das man nicht kennt? Dieser Herausforderung haben sich drei Choreografinnen für das DANCE Festival gestellt. Herausgekommen ist ein spannender Abend mit interessanten Körperkonzepten.

Auf der Bühne sind auf beiden Seiten fein säuberlich weiße Sneaker aufgereiht, in manchen stecken orangefarbene Stöcke. Als das Licht ausgeht, ertönen elektronische Klänge und eine mystische Frauenstimme beginnt, aus den Lautsprechern zu singen. Langsam kommen die Tänzer*innen des Ballettensembles vom Gärtnerplatztheater aus der Dunkelheit. Ihre Bewegungen sind langsam und fließend. Das wird sich im Laufe des Stücks noch ändern.

Bekanntes Konzept, neue Choreografinnen

Minutemade ist eine Vorgehensweise, die sich als vielversprechendes Format am Gärtnerplatztheater etabliert hat. Dabei sind den Choreograf*innen gewisse Regeln auferlegt, innerhalb der sie ihre Choreografie erstellen müssen. So wird eine Tanzperformance aus mehreren Teilen zusammengesetzt, wobei jede Choreografin für einen Part zuständig ist. Jeder Anfang eines Abschnittes muss wiederum an den vorangegangenen Teil anschließen. Auch eine zeitliche Einschränkung gibt es: innerhalb von einer Woche muss jeder ein Konzept mit zugehöriger fertiger Tanzperformance entwickelt haben. Für das DANCE haben sich jetzt die Choreografinnen Kat Válastur, Daina Ashbee und Eisa Jocson mit dieser Art der Tanzentwicklung auseinandergesetzt.

Heute und früher, zusammen und allein

Obwohl man als Zuschauer drei verschiedene Abschnitte ausmachen kann, fallen einem die Übergänge doch nicht direkt auf. Sie fließen so geschickt ineinander über, dass man nicht sofort sagen kann, wo zum Beispiel Válasturs Abschnitt aufhört und Ashbees anfängt. Jeder Akt hat seine eigene Dynamik und doch ergibt auch das große Ganze ein stimmiges Gesamtbild.

Im ersten Teil tragen die Tänzer*innen barock anmutende Kostüme. Aus einer langen Reihe heraus bilden sich kleinere Grüppchen, die an den Bühnenrand treten und die Arme umeinander legen; eine feste Einheit. Dazwischen bewegen sich andere, alleine für sich, in abgehackten Bewegungen wie mechanische Puppen bei alten Spieluhren. Gebrochen wird die angedeutete Vergangenheit von kleinen Gesten, die aus der Jetzt-Zeit stammen: ein Peacezeichen, ein Mittelfinger, eine Selfiepose. In den Bewegungen der Tänzer*innen treffen früher und heute aufeinander.

Vom Kostümzwang hin zur natürlichen Nacktheit

Es bleibt nicht bei dem einen Kostüm. Im zweiten Teil sind die Darsteller*innen in Sportklamotten zu sehen, wie sie zunächst Basketball spielen und sich dann in quälender Langsamkeit in Kniebeugen und ähnlichen Bewegungen ergehen. Zu binauralen Tönen, die, wie auch die restliche Musik, live von Polina Lapkovskaja gemixt wird, starren die Tänzer*innen unverwandt ins Publikum. Die Zeit zieht sich in die Länge. Das Beugen und Strecken des Körpers geschieht in Zeitlupe. Dazu werden verschiedene, sehr expressive Gesichtsausdrücke wie Freude, Ärger oder Ekel gemacht. Die präzisen, kraftvollen und entschleunigten Abfolgen nehmen einiges an Raum innerhalb der Performance ein und sind nicht jedermanns Sache. Doch gerade in einer Welt, in der Hektik und Dauerbeschallung herrscht, ist es schön zu sehen, dass sich noch jemand Zeit für ganz bewusste Bewegungen nimmt. In einer Art Rückentwicklung führt die Choreografie die Tänzer*innen, begleitet von Vogelgezwitscher, zurück, von der zivilisierten Kleidung hin zu einem Ort der Natürlichkeit: die eigene Nacktheit. Ist dies hier, wo man sich langsam und nackt über den Boden rollen darf, ein Stück Freiheit? Oder ist Freiheit, wenn man noch eine Stufe weiter gehen darf und plötzlich zum Tier wird?

Starker dritter Teil

Das Ensemble des Ballets am Gärtnerplatztheater liefert an diesem Abend ein unglaublich vielseitiges Bewegungsrepertoire, das von langsam und still bis hin zu laut und wild, alles im Angebot hat. Zum Schluss zeigen sie sogar noch einmal eine Steigerung zum vorangegangenen Abschnitt: die gesamte Gruppe verwandelt sich in Tiere. Trotz neuem Kostüm, das aus hautfarbenen Badeanzügen mit schwarzer Brustbehaarung besteht, lassen die Tänzer*innen ihre letzten antropomorphischen Züge verschwinden und bringen ihre animalische Seite zum Vorschein. Auf der einen Seite wedeln also ein paar dümmlich grinsende Robben mit ihren Flossen, auf der anderen Seite hüpft ein Känguru durchs Bild und staksende Flamingos entfernen die letzten Reste, was von den Menschen vom Anfang noch übrig geblieben ist: die barocken Jacken und Hosen. Täuschend echte Tierlaute hallen dabei durch die Muffathalle, es klackert, knarzt und schreit. Das ist teilweise sehr lustig, aber vor allem beeindruckend, wie exakt die Körpersprache der Tänzer*innen das Tiersein ausdrückt.

Kat Válastur, Daina Ashbee und Eisa Jocson haben mit “Minutemade for DANCE” ein Stück geschaffen, das trotz seiner formalen Anforderungen eine runde Gesamtchoreografie ergibt, innerhalb derer Platz für ganz unterschiedliche Bewegungsabläufe ist. Die Vielfalt und Präzision der Bewegungen, sowie die Körperbeherrschung des Ensembles ist dabei besonders hervorzuheben.

“Minutemade” for DANCE läuft am 16. und 17. Mai 2019 im Rahmen des DANCE Festivals für zeitgenössischen Tanz.