Frauenrechte in der Welt

Hinter Gittern wegen einer Fehlgeburt

/ / Bild: Adolfo Félix auf Unsplash

2019 ist ein bedeutendes Jahr für Frauen in Deutschland. Vor genau 100 Jahren wurde ihnen erstmals das Recht verliehen, zu wählen. Seitdem hat sich in Deutschland in Sachen Gleichberechtigung vieles zum Guten verändert. In dieser Reihe möchten wir uns Frauen widmen, die in ihren Heimatländern aufgrund ihres Geschlechts noch immer diskriminiert werden. Heute betrachten wir die Lage in El Salvador.

Eine Mutter fällt ihrer Tochter in die Arme. Sie wurde soeben nach elf Jahren Haft vorzeitig entlassen. Was könnte sie verbrochen haben, um ein derartig hartes Urteil zu verdienen? Die Antwort ist erschreckend und steht stellvertretend für so viele andere, die ihr Schicksal teilen: Teodora del Carmen Vásquez saß im Gefängnis, weil sie eine Fehlgeburt erlitt.

Im achten Monat schwanger steigt sie 2007 in einen Bus, der sie zum Gynäkologen bringen soll. Was für eine deutsche Frau selbstverständlich klingt, ist in El Salvador ein Sicherheitsrisiko, das im schlimmsten Fall den Tod bedeuten kann. Kriminelle Gruppen haben die Busunternehmen in der Hand, überfallen und töten regelmäßig Passagiere. So auch an diesem Tag. Teodora wird in den Bauch getreten. Tage später spürt sie starke Schmerzen in der Bauchgegend, ihr Anruf in der Notrufzentrale bleibt unbeantwortet. Mühsam schleppt sie sich ins Badezimmer, wo sie ohnmächtig zusammenbricht, bis sie schließlich ins Krankenhaus eingeliefert wird. Als sie erwacht, überkommt sie die schreckliche Gewissheit: Ihr Kind hat nicht überlebt. Doch statt psychologischer Betreuung erwartet sie, was für uns in Deutschland unvorstellbar erscheint. Sie wird in Handschellen abgeführt, kurz darauf folgt die Anklage: heimtückischer Mord an ihrem Ungeborenen durch illegale Abtreibung. Das Gericht plädiert auf schuldig und verurteilt Teodora zu 30 Jahren Gefängnis.

Dies ist nur einer von vielen Fällen, die Amnesty International betreut und zeigt die traurige Realität, der viele Frauen in El Salvador, einem der gefährlichsten Länder der Welt, ausgesetzt sind. Denn Frauen sind Hauptziel der willkürlichen Gewalt, die das Land fest im Griff hat. Nirgendwo geschehen mehr femicidos, Frauenmorde, als hier. Die Zahlen zeigen das Ausmaß der Grausamkeit: Die Organisation Colectiva Feminista zählt jährlich 25.000 Schwangerschaften infolge einer Vergewaltigung, die Opfer sind in mehr als der Hälfte der Fälle jünger als 15. Lediglich zehn Prozent der Delikte enden mit einer Verhaftung des Täters. Es ist um einiges wahrscheinlicher, dass das Opfer einer Vergewaltigung wegen versuchter Abtreibung im Gefängnis landet als der Vergewaltiger selbst.

El Salvadors Abtreibungspolitik ist eine der radikalsten weltweit, Abtreibungen unter jeglichen Umständen illegal. Weder Inzest oder Vergewaltigung, noch durch die Schwangerschaft verursachte Lebensgefahr zählen als Abbruchgrund. Der Fötus muss ausgetragen werden, denn es gilt: Das Baby kann nichts dafür, wenn die Mutter krank wird oder vergewaltigt wurde. Wer heimlich versucht abzutreiben oder eine Fehl- bzw. Totgeburt erleidet, begeht nach dem Gesetz „Mord in einem besonders schweren Fall“. Dafür sieht das salvadorianische Gesetz eine Strafe vor, die nicht einmal bei Massenmorden oder Vergewaltigung mit anschließendem Mord verhängt wird: 30 bis 35 Jahre Gefängnis. Laut Amnesty International befinden sich momentan 24 Frauen wegen Mordes an ihrem Ungeborenen in Haft; drei warten auf ihren Prozess. Die Jüngste von ihnen ist erst 19 Jahre alt. Die meisten der Inhaftierten haben bereits Kinder, die dann ohne ihre Mütter bei Verwandten oder allein aufwachsen müssen.

Verhindert werden Abtreibungen durch die seit 1998 geltende Gesetzgebung nicht. Frauen, die in El Salvador sowieso schon wenig Anspruch auf medizinische Behandlung haben, besuchen in Konsequenz des totalen Abtreibungsverbots keine Krankenhäuser mehr, da das Personal angewiesen ist, jeden Verdacht auf einen Schwangerschaftsabbruch zu melden. Viele Schwangere schlagen sich stattdessen in den Bauch, vertrauen auf pseudomedizinische Mittel oder führen sich spitze Gegenstände ein. Die Bevölkerung des stark katholisch geprägten El Salvador unterstützt das totale Abtreibungsverbot noch immer mit eindeutiger Mehrheit: 89 Prozent sind für das Verbot illegaler Abtreibungen. 46 Prozent halten die Verwendung von Verhütungsmitteln für unmoralisch. El Salvador und seine Bevölkerung lassen damit zu, dass unschuldige Frauen wie Menschen zweiter Klasse behandelt werden.