Theaterkritik

Gott

/ / Bild: Residenztheater München

Wie moralisch ist Selbstmord? Und sollen Ärzt:innen dabei helfen dürfen? Darüber wird in Ferdinand von Schirachs Gott ausführlich diskutiert und monologisiert – und zum Ende dem Publikum die Antwort überlassen. Im Residenztheater wird das Stück über Sterberecht nun neu inszeniert.

Ein karger Raum mit hohen, grauen Wänden und spartanischem Mobiliar: Einladend sieht sie nicht gerade aus, die Bühne für diesen Abend. Sie verspricht eine Debatte, die wohl so unbequem ist wie die schlichten Holzbänke, auf denen die Figuren sitzen und warten, bis sie mit ihren Argumenten an der Reihe sind. Vor diesem unaufgeregten Hintergrund geht es um Leben und Tod.

Elisabeth Gärtner (Charlotte Schwab) erscheint vor dem Ethikrat. Sie möchte sterben. In ihrem Eingangsplädoyer spricht sie über ihren trostlosen Lebensabend, über den Verlust ihres Mannes, über ihren Wunsch, ihrem Leben ein würdiges Ende zu setzen. Sie ist weder körperlich noch psychisch krank, sondern schlicht unglücklich. An ihre Schilderung reihen sich die Aussagen verschiedenster Sachverständigen: Juristische, medizinische, wie auch theologische Expertise kommt zu Wort. Einfach ist dies weder für die Akteur:innen auf der Bühne noch für das Publikum. Denn die Entscheidung über Frau Gärtners Sterbewunsch treffen letztlich wir.

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Der Trailer zu Gott zeigt ein karges Kammerspiel im Residenztheater.

Wir drehen uns im Kreis

Überraschend kommt die Aufforderung nicht, nach anderthalb Stunden Debatte nun per Abstimmung zu entscheiden: Alle Zuschauer:innen haben vor Beginn der Vorstellung Abstimmungskärtchen erhalten, grün für Sie darf sterben, rot für Sie soll leben. Und doch fühlt sich der Moment überstürzt an, als der Vorsitzende des Ethikrates (gespielt von Robert Gallinowski) darum bittet, nun unser Urteil zu fällen.

Das mag daran liegen, dass für den Großteil dieses zunehmend zähen Abends gar nicht über Frau Gärtner gesprochen wird. Vielmehr ist Gott eine Übung in philosophischer Erörterung, eine Ansammlung von Fakten und brav nacheinander vorgetragenen moralischen Werten, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben möchte und dadurch an Menschlichkeit verliert. Von Schirachs Text erschwert es den Darsteller:innen, ihre Figuren nachvollziehbar oder gar emotional zu zeichnen. Zuweilen wirken sie beinahe unkonzentriert, wenn sie in langen Passagen über Rechtsprechung, Suizidstatistiken oder historische Entwicklungen referieren müssen. Sicherlich kommt dem Ensemble hier auch nicht zugute, dass die Premiere (ursprünglich für November 2020 geplant) um über ein halbes Jahr verschoben werden musste.

Und doch blitzt hier und da Menschlichkeit hervor, wenn auch spärlich gesät. Überzeugen können vor allem Michael Goldberg als Theologe, der den christlichen Glauben mit all seinen logischen Fallstricken vollends verkörpert; und Michael Wächter als Gärtners Rechtsanwalt, der mit seinen provokativen Nachfragen einsam ein paar Lacher erntet. Dennoch behält der Rechtsanwalt Recht, wenn er irgendwann erschöpft kommentiert: „Wir drehen uns im Kreis.“

Irgendwo zwischen zynisch und fassungslos: Michael Wächter als der Rechtsanwalt in Gott.

Angemessen unzulänglich

Ein einziger Abend, eine einzige Sitzung des fiktiven Ethikrates, kann keine derart gewichtige Frage klären. Sollen Ärzt:innen ihren Patient:innen beim Sterben helfen dürfen? Dass das Stück uns zu einer ganz persönlichen Stellungnahme zwingt, ist grotesk – und erreicht womöglich gerade dadurch, was es soll. Das Problem ist nicht so schnell gelöst, es ist im Gegenteil ein mühsamer, anstrengender Prozess nötig, um den gesellschaftlichen Umgang mit solch sensiblen Themen immer und immer wieder zu beleuchten. Die pointierte Auseinandersetzung auf der Theaterbühne ist spannend und wichtig, und doch bei Weitem nicht genug.

Gott feierte am 23. Juli 2021 Premiere im Residenztheater. Im November 2020 war bereits eine Verfilmung des Stückes im ARD zu sehen.