
Filmfest 2025
FRIEDAS FALL
Eine Frau tötet ihr vierjähriges Kind. Wie kann das sein? Und was hat das Patriarchat damit zu tun? Basierend auf einer wahren Geschichte begleitet “Friedas Fall” den Gerichtsprozess um Frieda Keller, der 1904 die Schweizer Frauenrechtsbewegung anstieß.
“Sie haben mich keine Mutter sein lassen.” – Das sagt die angeklagte Mörderin Frieda, als sie in der Mitte des Films eine Kerze für ihren toten Sohn anzündet. Kaum auszuhalten sind die Szenen, in der sie mit dem zuckersüßen kleinen Jungen auf dem Berg herumtanzt, kurz, bevor sie ihn erdrosseln wird.

Frieda (Julia Buchmann) und ihr Sohn Ernstli (Levio Corvaglia), Bildquelle: Condor Films AG
Warum
Frieda arbeitet als Schneiderin. Das Geld reicht nicht, um als alleinerziehende Mutter ein Kind zu versorgen. Der Kindsvater, ihr früherer Arbeitgeber, der sie vergewaltigt hat, hat nur zweimal ein wenig Geld gezahlt, um sein Gewissen zu erleichtern. Auch die gesellschaftliche Ächtung macht Frieda Angst – sie verschweigt also ihr Kind. Bis sich das Waisenhaus weigert, ihn länger zu versorgen. Die Frage nach dem Warum klärt sich für die Zuschauenden nach und nach gemeinsam mit dem Staatsanwalt und Friedas Verteidiger, die Nachforschungen zu den Hintergründen anstellen. Die Ehefrauen der beiden Anwälte scheinen Frieda hingegen sofort zu verstehen.
Das Patriarchat schnürt ein
“Friedas Fall” von Regisseurin Maria Brendle beleuchtet die schwierige Lage, in der sich Frauen vor rund hundert Jahren rechtlich und gesellschaftlich befanden. Dabei wird er anhand zweier Ehepaare erzählt. Für den älteren und wohlhabenden Staatsanwalt ist der Fall zunächst klar. Er ist tief bewegt von der Grausamkeit, die einem Kind angetan wurde.
“Sie wollten einfach keine Mutter sein. Sie wollten frei sein.”
Friedas Fall
“Frei sein? Ich wollte eine richtige Mutter sein.”
Friedas junger Verteidiger dagegen ist ein progressiver Mann – doch auch er sieht sich durch die Gesetze gebunden.

Friedas Verteidiger Arnold Janggen (Max Simonischek) und Staatsanwalt Walter Gmür (Stefan Merki), Bildquelle: Condor Film AG
Verstrickungen
Friedas Fall führt zu Spannungen unter den Eheleuten. Der Film schafft es, diese Beziehungen unter dem Einfluss des Patriarchats zu beleuchten. Beide Paare führen eine Beziehung auf Augenhöhe, die aber natürlich doch von der Dominanz des Mannes geprägt ist. Nun müssen die Tatsachen ausgesprochen werden. Das ist für beide Seiten beschämend. Dem Film gelingt es, diese Reibungen realistisch und einfühlsam darzustellen. Dabei zeigt sich auch der Unterschied zwischen den Generationen, Gesine, die Frau des Verteidigers, ist rabiater und lauter in ihrem Feminismus als Erna, die den stillen Weg wählt.
Bis zum Zerreißen gespannt
Wieso hat sie es getan? Wie wird es ausgehen? Diese Fragen bauen einen Spannungsbogen auf, der sich durch den Film zieht. Aber noch viel spannender ist die Frage: Wie lange können die Frauen die Unterdrückung aushalten, bevor sie explodieren? Nachdem das Hausmädchen des Staatsanwalts sich verletzt, muss kurzerhand Frieda einspringen, um die wichtigen Dinner-Gäste zu bedienen. Das Gespräch fällt auf die Frage, ob der Staatsanwalt die Todesstrafe für sie erreichen wird. Die Kamera zeigt die gequälten Gesichter des Anwalts und seiner Frau, und die schockierte Frieda, die die Gläser der Gäste nachfüllt und dann sogar ein neues Messer bringt. Das Schauspiel droht zu zerbrechen.
Kein Schwarz-Weiß
Der Film “Friedas Fall” besticht auch durch die visuelle Sprache. Die Farben sind ruhig und gedeckt, die historische Kulisse überzeugend, die Kostüme sowohl zur Zeit als auch zu den Figuren passend. Wie Friedas Kleidung, die sie selbst bestickt hat. Besonders die Verwendung von Licht und Schatten schafft Klarheit und Schönheit: Bei ihren Befragungen durch den Anwalt sitzt Frieda beispielsweise auf der dunklen Seite eines Hintergrunds, der beinahe mittig in weiß-leuchtend und schwarz unterteilt ist. Für ihn ist sie bedingungslos schuldig.

Frieda (Julia Buchmann) beim Nähen in ihrer Zelle, Bildquelle: Condor Film AG
Erschütterndes Historiendrama
“Friedas Fall” überzeugt auf ganzer Linie. Der Film entfaltet seine Handlung zunächst langsam und spitzt sich dann zu, ist dabei von Anfang an fesselnd. Vor allem aber stellt er eindrücklich dar, wie schrecklich und ungerecht die Situation von Frauen und Müttern um die Jahrhundertwende ist. Und wieso Frieda ihr Kind getötet hat – obwohl sie so gerne eine Mutter gewesen wäre.
Frieda Keller hat ihr Kind umgebracht. Aber die Schuld, von der wir hier sprechen, ist umfassender. Und liegt zumindest in Teilen ganz woanders. Frieda Keller ist auch kein Einzelfall. Viele Mütter müssen ihren Kinder verbergen. (…) Was machen wir, was macht die Gesellschaft mit einem hilfsbedürftigen Menschen? Wir kehren ihm den Rücken zu.
Friedas Fall
“Friedas Fall” ist auf dem Filmfest am 1. Juli um 10 Uhr, am 2. Juli um 17:30 Uhr und am 5. Juli um 15 Uhr zu sehen. Außerdem ist er in der Mediathek des Filmfests verfügbar.