Filmklassiker der Woche

Der große Irrtum (1970)

/ / Bild: Vittorio Storaro

Was heißt es eigentlich normal zu sein? Dieser Frage geht Bernardo Bertolucci in Der große Irrtum  (anfangs „Der Konformist“) basierend auf der Romanvorlage von Alberto Moravia nach. Die Tragödie eines Mannes, den Trauma und Schuld dazu treiben wie alle anderen sein zu wollen. 

Paris, 1938. In den frühen Morgenstunden liegt Marcello Clerici (Jean-Louis Trintignant) auf dem Bett einem Hotelzimmer, getaucht in rötliches Licht einer Reklame. Er bekommt einen Anruf und verlässt daraufhin seine neben ihm liegende Frau. Vor dem Hotel steigt er in ein Auto, in dem der italienische Geheimpolizist Manganiello auf ihn wartet.  Ein Großteil der Handlung von Der große Irrtum, findet während dieser Autofahrt, in Rückblenden statt.  Die non-lineare, fragmentarische Erzählstruktur des Films verwirrt zunächst. Sie gibt Bertolucci aber die Möglichkeit den Verlauf der Ereignisse zu kontrollieren und die Szenen in ihrer gewählten Abfolge zu zeigen. Die eher einfache Handlung gewinnt dadurch an Kraft und Bedeutung.

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Trailer zum Film

Vom Konformist zum Kollaborateur

Chronologisch erzählt geht es in Der große Irrtum um Marcello Clerici, der versucht normal zu sein – um jeden Preis. Dieser Wunsch entsteht aus einem Kindheitstrauma. Marcello hat mit 13 einen älteren Mann, der ihn sexuell missbraucht hat, erschossen. Aus dieser Schuld entwickelt sich eine Obsession ein normales Leben aufzubauen, sich anzupassen an seine Umgebung.  Sein Wunsch nach Konformität wird von System erfüllt und genährt. Er wird zum Mitläufer des Faschismus unter Mussolini. Schließlich wird er auch zum Kollaborateur als er im Auftrag der Geheimpolizei in Rom nach Paris fährt um seinen ehemaligen Professor, der hochrangiges Mitglied des Widerstandes ist, zu ermorden. Jean-Louis Trintignant spielt Marcello Clerici mit einer kühlen Eindringlichkeit. In seinem Ausdruck findet sich unterdrückte, Emotionalität und die Distanz die Marcello zu seiner Umgebung aufbaut.  

Die Blindheit der Faschisten

Die Ideologie des Faschismus und wie sie sich in der Gesellschaft festsetzt ist ein zentrales Thema in Der große Irrtum. In einer Schlüsselszene erklärt Professor Quadri die vereinfachte Version des Höhlengleichnis von Platon:

Ein großes Gefängnis in einer Höhle. Die Gefangen leben dort seit ihrer Kindheit. Sie sind so angekettet, dass sie nur die Rückwand der Höhle sehen können. Hinter ihrem Rücken flackert das Licht eines kleinen Feuers. Das einzige was sie sehen sind Schatten von Dingen die hinter ihnen vorbeigetragen werden, das ist das einzige was sie kennen – ihre Wirklichkeit. Erst wenn sich ein Mensch aus der Höhle befreit kann er die eigentliche Realität erkennen.

Marcello und Quadri in Quadris Büro. Bild: Vitario Storaro

Bertolucci entwickelt in dieser Szene seine eigene Höhle. Protagonist Marcello steht in Quadris Büro. Die Fenster sind geschlossen, der Raum ist komplett dunkel bis auf ein Lichtstrahl der durch den Fensterspalt fällt. Der wirft einen Schatten Marcellos an die Wand, sein Schatten sieht aus wie eine faschistische Pose. Für Quadri und Bertolucci sind die Faschisten Gefangene in Platons Höhle. Clerici selbst scheint sich auch (willentlich) in diese Gefangenschaft begeben zu haben.

Eindrucksvolle Ästhetik

Am eindrucksvollsten ist jedoch nicht unbedingt die politische Message oder der Inhalt des Films, sondern die stilisierte Schönheit seiner Bilder. Die sind geprägt von klaren Linien und perfekter Symmetrie. Kameramann Vittorio Storaro und Bertolucci haben den Film bis ins kleinste Detail durchdesignt, jede Szene perfekt konstruiert. Licht und Schatten spielen eine große Rolle in der von Film Noir inspirierten Ästhetik des Films. In einer Szene fallen Schatten durch heruntergezogene Jalousien wie Gitterstäbe auf Marcellos Gesicht und den Boden. Sie kreieren einen visuellen Käfig, die Höhle in der sich Marcello befindet.

Marcello in seiner Wohnung. Bild: Vitario Storaro

Eine Tanzveranstaltung in bläuliches Licht getaucht wirkt wie aus einem Traum, eine vorübergehende Flucht aus der Realität. Auch die Räume reflektieren das Innenleben der Charaktere. Die Szenen in Rom, im Büro der Minister, finden in riesigen fast leeren Räumen statt. Sie sind eine Reflexion der ideologischen Leere des Faschismus. Trotz ihrer Größe wirken sie klaustrophobisch und einengend. In Paris befinden sich die Charaktere dann auf offenen Plätze, die ein kurzes Gefühl von Befreiung bieten. 

Das Büro des Ministers in Rom. Bild: Vitario Storaro

Historischer Film über Gegenwart

Bertolucci hat mit Der große Irrtum einen Film über den Faschismus der 30er gemacht, wollte damit auch seine Gegenwart, die 70er reflektieren. Insgesamt ist Der große Irrtum aber ein Film dessen Aussagen zeitlos sind und sich auch noch in unserer Gegenwart widerspiegeln.

Der große Irrtum ist auf Youtube zu sehen.