macht:wort

Antirassistische Selbstbezeichnungen – Lexikon

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Das neue IGTV-Format macht:wort erklärt Begriffe und deren Kontext, um den Wortschatz hin zu einer diskriminierungsfreien Sprache zu erweitern. In Folge 09 geht es um Antirassistische Selbstbezeichnungen. Warum ist es wichtig, sie auch als nicht betroffene Person zu verwenden? M94.5 gibt einen Überblick.

Mal ganz von vorne: Was ist Rassismus?

Rassismus ist ein umfassender Begriff, der eine Vielzahl von Kategorien impliziert und für den es bis heute keine allgemeine Definition gibt. Meistens meint man damit eine ideologisch motivierte „Theorie, nach der Menschen bzw. Bevölkerungsgruppen mit bestimmten biologischen Merkmalen hinsichtlich ihrer kulturellen Leistungsfähigkeit anderen von Natur aus über- bzw. unterlegen sein sollen“ (Quelle: Oxford Languages).

Dabei wird davon ausgegangen, dass Menschen in „Rassen“ unterteilbar wären, auch wenn diese Rassentheorie biologisch nicht zu rechtfertigen ist. Eine zweiter Definitionsansatz für rassistisches Verhalten lautet: Eine dem Rassismus entsprechende Einstellung oder ein bestimmtes Denkverhalten, wie es beispielsweise im Nationalsozialismus der Fall war.

In der Rassismusforschung ist derzeit eine Definition weithin akzeptiert:

„Der Rassismus ist die verallgemeinerte und verabsolutierte Wertung tatsächlicher oder fiktiver Unterschiede zum Nutzen des Anklägers und zum Schaden seines Opfers, mit der seine Privilegien oder seine Aggressionen gerechtfertigt werden sollen.“

Albert Memmi (*1920, † 2020), tunesisch-französischer Schriftsteller und Soziologe

Nicht rassistisch ≠ antirassistisch

Man könnte meinen, Antirassismus sei ein selbsterklärender Begriff – eben das Gegenteil von Rassismus. Aber auch hier konnte sich die Forschurng bis jetzt nicht auf eine einheitliche Definition einigen. Antirassismus bezeichnet Ansätze, um rassistische Verhältnisse und Einstellungen zu beseitigen. Die Argumentationsstrukturen sind auch hier breitgefächert. Es geht von politisch liberalen Denkstrukturen, zu religiösen oder auch ideologischen Herangehensweisen. Aber eins ist klar: Antirassismus gibt es eben so lang wie Rassismus. Erstmals tauchte der Begriff 1948 nach der Befreiung Europas vom Faschismus, in Jean-Paul Satres Vorwort zu Schwarzer Orpheus, zu einer Anthologie von Leopold Senghor auf. Widerstand gegen Rassismus gibt es allerdings schon länger, beispielsweise im Rahmen der Anti-Sklaverei-Bewegung.

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Antirassistische Großdemo im Sommer 2020 in München

Seit dem gewaltsamen Tod des Afroamerikaners George Flyod 2020 stehen antirassistische Bewegungen und Initiativen wie BlackLivesMatter noch stärker im Fokus, hinter der eine junge, antirassistische Generation steht. Um Rassismus längerfristig zu unterbinden, muss regelmäßig etwas getan werden. Damit ist aber keine wöchentliche Demo gemeint. Denn es geht neben offenem Rassismus vor allem um den alltäglichen Rassismus, sogenannte Mikroangriffe, denen viele Betroffene ausgesetzt sind. Und dagegen kann jede:r vorgehen, am besten fängt man bei sich selbst an und. Ein Ansatzpunkt ist die Veränderung des eigenen Sprachgebrauchs.

Wieso spielt Sprache eine so entscheidende Rolle?

Zunächst ermöglicht Sprache es auf ein gewisses Problem aufmerksam zu machen. Veränderung in der Sprache kann außerdem auch zu Veränderung im Denkverhalten führen, wenn man neue Begrifflichkeiten anwendet. Viele Menschen drücken sich nicht bewusst diskriminierend aus. Selbstbezeichnungen bieten eine Möglichkeit, sich diskriminierungsfrei auszudrücken. Für diejenigen auf die die Selbstbezeichnungen zutreffen, ergibt sich eine Chance mit der Vergangenheit auf eine selbstgewählte Art umzugehen und diese vielleicht auch so verarbeiten zu können.

Begriffe und ihr historischer Kontext:

  • People of Color (Abk.: PoC)

Der Begriff people of color bzw. free people of color wurde, laut Oxford English Dictionary, erstmals 1781 während der Kolonialzeit verwendet. Damals bezeichnetet er freigelassene Sklaven. Ursprünglich kommt die Bezeichnung aus dem Französischen von gens de coleur und meint Nachkommen von weißen Siedlern und Schwarzen Sklaven. Martin Luther King verwendete 1963 die Bezeichnung citizens of color. Mit ähnlicher Bedeutung tauchte der Begriff people of color wieder 1970 auf. Geprägt wurde er von der Black-Power-Bewegung, sowie der Black-Panther-Party. People of Color (PoC) ist eine politische Selbstbezeichnung, die sich nicht auf äußerliche Merkmale bezieht. Sie umfasst alle, die Rassismus erfuhren und immer noch erfahren. Er verdeutlicht die Vielfältigkeit von Rassismuserfahrungen und erschafft solidarische Bündnisse über die Grenzen marginalisierter Gruppen hinweg.

  • Black, Indigenous People of Color (Abk.: BIPoC)

Die Bezeichnung BIPoC tauchte erstmals im Jahr 2013 auf. Populär wurde der Begriff erst später, vor allem durch die BlackLivesMatter-Proteste in Folge von George Flyods Tod tauchte die Selbstbezeichnung immer häufiger im Internet auf. Sie ist als Weiterentwicklung oder Verfeinerung des Begriffs PoC zu verstehen. Der Begriff soll klar machen, dass nicht alle Gruppen, die unter dem Begriff PoC zusammengefasst werden, die gleichen Rassismuserfahrungen gemacht haben – die Historie der Verfolgung von Schwarzen und indigenen Menschen soll hier noch einmal speziell hervorgehoben werden. Dies dient dazu, das spezielle Verhältnis von Schwarzen und indigenen Menschen zu der weißen Vorherrschaft in der Kolonialzeit, insbesondere in Amerika, auszudrücken, welche die Gesellschaft nachhaltig prägt. Trotzdem kann er auch im nicht-amerikanischen Kontext verwendet werden. Der Ausdruck verbindet die gruppenspezifische Rassismuserfahrungen von Schwarzen, indigenen sowie ehemals kolonialisierten oder versklavten Menschen und erkennt trotzdem Unterschiede an.

  • Schwarz, weiß

Die Begriffe Schwarz und weiß beziehen sich ebenfalls nicht auf die Hautfarbe. Der Begriff Schwarz mit großem S steht für alle Menschen, die Erfahrungen mit Rassismus machen mussten. Außerdem meint er Menschen, die auf eine lange Widerstandsgeschichte eben gegen diesen Rassismus, zurückblicken. Der Begriff kann beispielsweise auch von Menschen mit polnischer, russischer oder balkanischer Herkunft verwendet werden, die zum Beispiel auf Grund von einer Sprachfärbung mit Rassismus zu kämpfen haben.

weißsein oder auch weiß, klein und kursiv geschrieben, macht darauf aufmerksam das Rassismus auch weißen Menschen einen Platz in der Gesellschaft zuweist. Dieser ist mit Privilegien und Dominanzerfahrungen verbunden. Wer als weiß gilt unterscheidet sich historisch, sozial und geographisch. Als weißer Mensch ist es keine freie Entscheidung diese Position auszunutzen, denn die verbundenen Privilegien werden angeboren und meist nicht wahrgenommen. Auch dazu dient der Begriff: Für weiße Menschen ihre Position und deren Folgen sichtbar machen. Dadurch können Machtverhältnisse und Normalitätsvorstellungen beschrieben, analysiert, reflektiert und geändert werden.

  • Afrodeutsch, Schwarze Deutsche

Als Afrodeutsch oder Schwarze Deutsche werden deutsche Staatsbürger:innen, mit subsahara-afrikanischer oder afroamerikanischer Abstammung gemeint. Sie sehen sich als Deutsche, identifizieren sich aber auch mit der afrikanischen Diaspora. Manche Menschen können sich allerdings weder mit dem einen noch mit dem anderen Begriff anfreunden, eine Alternative wäre afrodiasporisch. Dieser Begriff ist allerdings weniger populär und hat sich bis jetzt noch nicht durchgesetzte.

Afrodeutsch und Schwarze Deutsche sind Eigenbezeichnungen der Neuen Schwarzen Bewegung, die sich 1980 bildete. Die Bewegung brachte unterschiedliche Initiativen hervor, deren Gemeinsamkeit das Ziel war, Fremdbezeichnungen zu hinterfragen, abzulegen und durch Selbsterkenntnis die eigene Identität zu klären. Afrodeutsch entstand als Begriff in Anlehnung an den Ausdruck afroamerikanisch, der von der US-amerikanischen Aktivistin Audre Lorde entwickelt wurde. Die Begriffe basieren auf Konzepten des Empowerments, der Emanzipation und der Identitätspolitik, sowie auf der Auseinandersetzung mit Diskriminierung und Rassismus.

Selbstbezeichnung vs. Fremdbezeichnung

Selbstbezeichnungen werden von marginalisierten Gruppen selbst gewählt. So möchten sie genannt werden und so wird auch diskriminierungsfreie Sprache ermöglicht. Wobei es innerhalb der Gruppen auch Uneinigkeiten gibt, manchen sind bestimmte Bezeichnungen näher als anderen.

Generell gilt: Eine Sprache, die niemanden verletzt, sollte immer das Ziel sein. Fremdbezeichnungen sind oft abwertend oder diskriminierend. Diese sollte man stets vermeiden. Wobei manche Fremdbezeichnungen “zurückerobert“ wurden und von Betroffenen mit neuer Bedeutung gefüllt und somit mit Stolz benutzt werden (diese Praktik nennt sich Reclaiming). Wenn ihr mehr über Fremdbezeichnungen erfahren wollt, dann schaut bei unseren letzten Folge macht:wort vorbei!