Filmkritik

All the Beauty and the Bloodshed

/ / Nan Goldin und ihr damaliger Partner. Foto: Plaion Media.

All the Beauty and the Bloodshed ist eine Dokumentation, die das Lebenswerk der amerikanischen Künstlerin und Aktivistin Nan Goldin im Zentrum hat. In knapp zwei Stunden portraitiert die Regisseurin und Oscarpreisträgerin Laura Poitras (Citizenfour) den Werdegang der Fotografin und behandelt in einem parallelen Erzählstrang deren Aktivismus gegen die Opioid-Krise.

Eine tiefe Frauenstimme beginnt zu erzählen, noch bevor das erste Bild erscheint. Verwackelte Super 8-Aufnahmen im authentischen Retro-Look. Ein amerikanisches Vorstadthaus mit gepflegtem Rasen und einer weißen Veranda. Schreibmaschinen-Dokumente, Krankenakten, vergilbte Fotos. Eine Familie wie aus dem Bilderbuch: Vater, Mutter, zwei Töchter. Es ist Nan Goldin, die spricht. Sie erzählt aus ihren Erinnerungen, von ihrer Schwester und ihren Eltern, von deren schwieriger Beziehung. Vom Aufenthalt ihrer Schwester in einem Heim, und schließlich von ihrem Suizid.

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Der Trailer zu der Dokumentation “All the Beauty and the Bloodshed”

“Sacklers lie, People die!”

Neues Kapitel. Nan und eine Gruppe von Aktivist:innen versammeln sich im Sackler-Flügel des Metropolitain Museum of Art. Dieser ist nach der Pharmadynastie der Sacklers benannt. Mit der Erfindung und dem Vertrieb des Medikaments Oxycodon war die Sackler-Familie maßgeblich für die Opioid-Krise in den Vereinigten Staaten verantwortlich. Mit Pillendosen und handgeschriebenen Bannern skandieren die Mitglieder des Vereins P.A.I.N. (“Prescription Addict Intervention Now”) die Worte: “Sacklers lie, people die!”. Der Verein hatte sich 2017 um Nan Goldin gegründet, die selbst Opioid-Abhängige war und sich seither für die Entstigmatisierung von Drogenabhängigkeit und gegen das Pharmaunternehmen Perdue Pharma einsetzt.

Nan Goldin bei einer Demonstration im Guggenheim Museum. Copyright: Plaion Media.

Was anfängt wie eine angestaubte Geschichte aus der Vergangenheit der Pharmaindustrie, entfaltet sich zu einem menschlichen Drama. Die Erben der Sackler-Familie vertreiben nicht nur heute noch stark abhängig machende Schmerzmittel, sie geben sich auch seit Generationen als Kultur-Mäzenen und zählen damit zu den spendabelsten Familien in der Szene. Sämtliche Museen und Kulturinstitutionen mit Weltrang erhielten noch bis 2019 Gelder von den Sacklers. Im Gegenzug dazu war der Familienname prominent auf Gebäuden und in Broschüren zu lesen. Selbst der Louvre lehnte schließlich weitere Gelder ab und entfernte den Namen vom Haus.

Eine Biografie mit Tiefgang

Poitras zeigt in All the Beauty and the Bloodshed aber nicht nur Goldins Kampf mit der Pharma-Dynastie. Sie erzählt auch die Geschichte abseits der Drogen: Die der Künstlerin Nan Goldin. Wie aus einem verstörten Kind und Teenagerin eine der bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart wurde. Bemerkenswert ist dabei, dass nicht nur enorm viel Foto- und Videomaterial gezeigt wird, sondern dass auch einige ihrer Werke, die sogenannten Diashows, zu sehen sind. Diese strukturieren den Film nicht nur inhaltlich, sondern zeigen den Zuschauer:innen auch den Werdegang und die künstlerische Entwicklung von Nan, der Künstlerin.

Nan Goldin und ihr damaliger Partner. Copyright: Plaion Media.

Dadurch, dass die beiden Erzählstränge parallel verlaufen, ist es in dieser Dokumentation mit Überlänge dann doch manchmal schwer, die Konzentration zu halten. Was Inhalt genug für zwei separate Filme gehabt hätte, wird hier künstlerisch in einen monumentalen Film verwoben. Was aber bei der Orientierung hilft, ist, dass die Doku in mehrere Kapitel unterteilt ist. Diese Abschnitte wiederum werden mit originalem Bildmaterial durch die Linse von Nan Goldin gezeigt. Video-Ausschnitte, Diashows und Fotografien machen das Eintauchen in ihre Welt leichter. Dennoch ziehen sich die einzelnen Erzählstränge gelegentlich in die Länge, wenn sich der Erzählfluss wechselseitig unterbricht. In jedem Fall ist All the Beauty and the Bloodshed jedoch sehenswert, da der Film nicht nur detailliert über den Aktivismus gegen die Opioid-Krise der USA aufklärt, sondern auch tief in einzelne Schicksale und die Popkultur im New York der 80er-Jahre eintaucht.

All the Beauty and the Bloodshed wurde in Venedig mit dem goldenen Löwen ausgezeichnet und ist aktuell in den deutschen Kinos zu sehen.