Filmfest 2022

AFTERSUN

/ / Bild: Filmfest München

“When you were 11, what did you think you would be?” – In ihrem Debutfilm Aftersun zeichnet Charlotte Wells ein liebevolles Portrait einer innigen Vater-Tochter Beziehung. Die Bilder strahlen viel menschliche Wärme aus. Dennoch bleibt die Melancholie des Vaters lange in den Köpfen der Zuschauer:innen.

Die Handlung von Aftersun ist schnell erzählt: Die 11-jährige Sophie (Frankie Corio) und ihr junger Vater Calum (Paul Mescal) verbringen in den späten 90ern einen Sommerurlaub in einem türkischen Hotel. Sie entspannen am Pool, besuchen abendliche Animationen und machen Ausflüge in die malerische Umgebung. Eine erwachsene Sophie sieht sich zwanzig Jahre später Camcorder-Aufnahmen des Urlaubs an und schwelgt in Erinnerungen. Das war’s – viel mehr Handlung braucht Aftersun auch nicht.

Ein Urlaubsfilm?

Auf den ersten Blick ist Aftersun (Regie und Drehbuch von Charlotte Wells; A24) also ein Urlaubsfilm. Aber das Drama lebt nicht von der eigentlichen Handlung, sondern von der Ebene dahinter; von den subtil gezeichneten Protagonist:innen, deren Innenleben und Beziehung. Dass das funktioniert, liegt an dem herausragend natürlichen Auftritt, den die beiden Hauptdarsteller:innen hinlegen. Vater und Tochter gehen sichtlich liebevoll miteinander um, manchmal witzeln sie fast wie Geschwister miteinander – ein Eindruck, der durch das junge Alter des Vaters nur verstärkt wird. Sophie befindet sich an der Schwelle zwischen Kindheit und Jugend, beobachtet aufmerksam das Flirten der älteren Jugendlichen und erlebt selbst ihre erste Urlaubsschwärmerei. Calum ist fürsorglich und bemüht sich, trotz kleinem Budget, seiner Tochter einen schönen Urlaub zu ermöglichen.

All das strahlt viel menschliche Wärme aus und würde für wohlige Gefühle beim Anschauen sorgen. Wäre darunter nicht diese tiefe, drückende Melancholie, die im Laufe des Films die Spannung langsam aber stetig steigert. Die Melancholie wird spürbar in der Stille, die eintritt, nachdem Sophie Calum fragt, wovon er als Kind geträumt hat. Oder in Calums langem Blick in den Spiegel, als seine Tochter ihn ein anderes Mal fragt, ob er auch diese Müdigkeit kenne – die, die einen traurig macht, obwohl der Tag schön war. Oder in dem jugendlichen Trotz, wenn der Vater sich in der Nacht vor seinem Geburtstag betrinkt, seine elterliche Fürsorge ausnahmsweise vernachlässigt und in einer ominösen Szene auf den dunklen Strand rennt. So kommen die Zuschauer:innen nicht umhin sich zu fragen, warum Sophie als Erwachsene überhaupt in Erinnerungen schwelgt: Wie sieht die Beziehung zwischen Vater und Tochter jetzt aus? Lebt Calum noch?

Reflexion im Bildschirm

Visuell prominent sind die pixeligen und verwackelten Camcorder-Aufnahmen, die Aftersun zum Teil einen fast dokumentarischen Charakter verleihen. Vor allem von Sophie gefilmt, zeigen sie uns Calum und das Urlaubsresort aus ihrer Perspektive. Besonders schön gelungen ist eine Szene im Hotelzimmer, in der wir zuerst eine Videoaufnahme im Fernsehbildschirm sehen. Bis der Camcorder ausgeschaltet wird und sich die restliche Szene als Reflexion im nun schwarzen Bildschirm abspielt – wie symbolisch für die Rückschau der erwachsenen Tochter auf den Urlaub. Aber auch die übrigen Kameraeinstellungen überzeugen durch den fast schon nüchternen Stil mit dem Details eingefangen werden, die den Protagonist:innen Tiefe geben. So wird eine augenscheinlich unbedeutende Szene, in der Calum heimlich rauchend auf dem Balkon tanzt, während wir nur das gleichmäßige Atmen der schlafenden Sophie hören, unerwartet emotional.

Vater, Kind und das Kind im Vater

Das Gefühl, das Aftersun hinterlässt, ist tatsächlich ein bisschen so, wie nach einem langen Tag in der Sonne. Es war schön und einem ist warm, aber zugleich ist da diese Schwere in den Gliedern und diese Erschöpfung, obwohl man doch eigentlich nichts getan hat. Der Film regt zum Nachdenken an über die eigene Eltern-Kind Beziehung. Über die großen Pläne, die man als Kind hatte, und aus denen dann vielleicht nichts geworden ist. Darüber, was man als Kind in seinen Eltern übersehen hat und darüber, was man doch nicht übersehen konnte. Nicht zuletzt deswegen ist dieses so menschliche Vater-Tochter Porträt sehenswert.

Aftersun lief auf dem Filmfest München in der Reihe Wettbewerb Cinevision.