
Was tun Vereine und Verbände?
Unterschätztes Risiko: Interpersonelle Gewalt im Jugendfußball
Eine Recherche des Recherchenetzwerks Correctiv und von 11FREUNDE zeigt, dass ein Münchner Spielerberater jahrelang seine Machtposition dazu genutzt hat, sexuelle Handlungen an minderjährigen Fußballern vorzunehmen. Fälle wie diese werden immer häufig öffentlich, doch: Studien zu interpersoneller Gewalt im Sport zeigen nur die Spitze des Eisbergs. Verbände und Vereine hingegen tun sich schwer, effektive Schutzkonzepte zu etablieren. Immerhin: ein Amateurverein aus München geht mit gutem Beispiel voran.
Vor allem in München soll er tätig gewesen sein, der Spielerberater N., über den das Recherchenetzwerk Correctiv und 11FREUNDE Ende März berichtet. N. soll seine Position ausgenutzt haben, um bei seinen Schützlingen sogenannte “Check-Ups” durchzuführen. Check-Ups, die eigentlich gar nicht im Aufgabenbereich eines Spielerberaters liegen.
Elf Fußballer berichteten Correctiv und 11FREUNDE davon, dass dieser Berater sich ihnen gegenüber unangemessen verhalten habe. In mehr als hundert Fällen habe er Fußballer im Intimbereich berührt. N. distanziert sich gegenüber Correctiv und 11FREUNDE von dem Vorwurf, es habe „gezielte Berührungen im Intimbereich“ gegeben. Seine Agentur hat sich inzwischen vom Spielerberater N. getrennt.
Diese Recherche ist Teil einer Kooperation von M94.5 mit 11FREUNDE und CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Recherchen im Lokaljournalismus. Alle Recherchen zu Gewalt im Jugendfußball
Spielerberater:innen haben viel Macht über Jugendfußballer:innen. Sie entscheiden unter anderem darüber, welche Spieler gefördert werden und am Ende vielleicht Karriere machen. Genauso wie Trainer:innen, Betreuer:innen oder andere Vereinsmitarbeiter:innen. Zwischen ihnen und den oft minderjährigen Fußballer:innen gibt es ein Machtverhältnis, das Risiken birgt. Wie gefährdet ist das System Kinder- und Jugendfußball – vor allem im Amateurbereich? Und was können Vereine und Verbände tun?
Riskobereich Fußball
Ilse Hartmann-Tews ist eine der führenden Expert:innen zum Thema Gewalt im Sport und Vorstand von Safe Sport e.V.. Der gemeinnützige Verein bietet eine Anlaufstelle gegen Gewalt im Sport. Hartmann-Tews bezeichnet den Sport allgemein als Risikobereich, vor allem den Spitzensport:

“Viele Jugendliche haben eine biographische Forcierung. Sie investieren zeitlich und körperlich viel. Oft wird auch der Freundeskreis reduziert. Das ist wie ein Tunnel, wo es keine Exit-Option gibt.”
Ilse Hartmann-Tews
Gefahr im Spitzen- und Breitensport
Daraus ergebe sich ein Machtverhältnis, das Täter:innnen nutzen und missbrauchen können. Die unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Missbrauchs kommt in einer Fallstudie zu dem Schluss: “Die meisten Tatpersonen stammen aus dem direkten, nahen Umfeld und sind Trainer, Betreuer, Lehrer und männlich. Die Tatpersonen befinden sich meist in machtvollen Positionen. Dies trifft insbesondere auf Trainer zu, von denen Sportlerinnen und Sportler abhängig sind, um in ihrer sportlichen Entwicklung weiterzukommen.”
Die Studienlage zum Ausmaß an interpersoneller Gewalt im Sport ist dünn. Doch die Ergebnisse aller bisherigen Studien lässt nichts Gutes ahnen, sowohl im Spitzen- als auch im Breitensport: Im Zuge des nationalen Berichts von Cases (Child Abuse in Sport: European Statistics) berichteten mehr als drei Viertel der Befragten von mindestens einer Erfahrung mit interpersoneller Gewalt.
Und auch sexualisierte Gewalt ist nicht selten: Im Spitzensport gaben in einer Studie zwischen 2014 und 2017 mehr als ein Drittel der Befragten (37,6 Prozent) an, bereits eine Form von sexualisierter Gewalt erlebt zu haben. Im Breitensport berichtete 2019 gut ein Viertel (26 Prozent), schon mindestens einmal im Kontext des Vereinssports sexualisierte Grenzverletzungen oder Belästigungen erlebt zu haben.
Was ist interpersonelle Gewalt?
Interpersonelle Gewalt sind alle Handlungen, die gegen den Willen einer Person geschehen und ihr Schaden zuführen. Sie basieren meistens auf einem Machtgefälle und erfolgen unter dem Einsatz von psychischen und physischen Mittel.
Man unterscheidet zwischen:
- Psychische Gewalt: Gewalt nicht-körperlicher Art, z.B. Demütigungen, Drohungen
- Physische Gewalt: Körperliche Übergriffe, die zu Schäden führen können wie zum Beispiel Schläge oder Tritte sowie Zwang zu Doping
- Sexualisierte Gewalt: Unerwünschte oder erzwungene sexuelle Handlungen mit oder ohne Körperkontakt
Beratungsstelle Sfe Sport e.V. : Jeden zweiten Tag eine Anfrage
Du hast Gewalt oder Missbrauch im Sport erlebt oder machst du dir Sorgen um jemand anderes? Oder du hast Angst, selbst zum Täter oder zur Täterin zu werden? An diese Beratungsstellen kannst du dich wenden:
- Ansprechstelle Safe Sport: 0800 11 222 00 (Montag, Mittwoch und Freitag von 10 Uhr bis 12 Uhr und Donnerstag von 15 bis 17 Uhr).
- Anlauf gegen Gewalt: 0800 90 90 444 (Montag, Mittwoch und Freitag von 9 Uhr bis 13 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 16 Uhr bis 20 Uhr).
- Hilfe-Telefon Sexueller Missbrauch: 0800 22 55 530 (Montag, Mittwoch und Freitag von 9 Uhr bis 14 Uhr, Dienstag und Donnerstag von 15 Uhr bis 20 Uhr).
- Kein Täter werden
Die Beratungsstelle “Safe Sport e.V.” bietet seit eineinhalb Jahren juristische und psychologische Beratung an und hat im März 2025 einen ersten Zwischenstandsbericht vorgelegt, der zeigt, dass sich bereits jetzt jeden zweiten Tag eine Person meldet. Von Juli 2023 bis zum Jahresende 2024 erreichten die Ansprechstelle 223 Beratungsanfragen zu interpersoneller Gewalt im Sport. Die Tendenz ist steigend. Im zweiten Halbjahr 2024 meldete sich im Durchschnitt schon jeden zweiten Tag eine neue ratsuchende Person.
Ilse Hartmann-Tews betont, dass die Personen, die sich bei der Beratungsstelle melden, keine repräsentative Gruppe abbildeten. Dennoch sagt, sie, “dass wir in den anderthalb Jahren schon mit über 200 Fällen zu tun hatten, hier beraten haben – zum Teil in mehreren Sitzungen – zeigt, dass das die unabhängige Ansprechstelle sehr gut angenommen worden ist und der Bedarf auf jeden Fall vorhanden ist.”
Aus dem Bericht geht auch hervor, dass Kinder und Jugendliche Hauptbetroffene von Gewalt im Sport sind. Sie machen gut 85 Prozent aus. Außerdem sind zwei Drittel Frauen. Und: Jede fünfte Anfrage kommt aus dem Fußball.
Wie gefährdet ist der Fußball?
Fußball ist ein Mannschaftssport. Das mindert das Risiko für Missbrauch, denn 1 zu 1-Situationen zwischen Betreuer:innen und Jugendlichen treten seltener auf, doch es gibt auch hier Räume für Täter:innen. Davon berichtet Frank Schweizerhof, der als Sportpädagoge beim bayerischen Fussball-Verband (BFV) arbeitet. Die Räume können Einzeltraining, Physiotherapie, Duschsituationen, Ausflüge, Traininingslager oder Anreise sein.

“Es gibt natürlich diese Gefährdungssituationen und Machtverhältnisse. Trainer selbst in der untersten Liga bei den Kleinsten haben immer die Macht, ein Kind spielen zu lassen oder auch nicht. Es gibt die Möglichkeit der Sonderbevorzugung und natürlich das Versprechen: Ich kann dich fördern, du kannst besser werden.”
Der Münchner Spielerberater N. hatte auch im Umfeld der Spielvereinigung Unterhaching gearbeitet. Der Verein selbst spricht von 40 bis 50 Spielern, die N. seit mehr als einem Jahrzehnt allein von Unterhaching betreut hatte. Die Spielvereinigung verweist gegenüber Correctiv und 11Freunde und der Süddeutschen Zeitung auf verschiedene Maßnahmen, die man ergriffen habe.
Was können Vereine und Verbände tun?
Klar ist: Es gibt kein Patentrezept, um Gewalt im Jugendfußball zu verhindern. Doch es gibt Bausteine, die Vorfälle verhindern können. Welche das sind, warum so wenige Vereine ein Konzept haben und wie der Bayerische Fussball-Verband das Thema behandelt, zeigt der folgende Audio-Beitrag.
Der Deutsche Olympische Sportbund hat im vergangenen Jahr – übrigens gegen die Stimmen des Deutschen Fußball Bundes – die Einführung des Musterregelwerks gegen interpersonelle Gewalt ab 2028 beschlossen. Der Safe Sport Code schreibt für oben geschildertes Verhalten Sanktionen vor. Bis es aber ein flächendeckendes Konzept zum Schutz von Kindern in Fußballvereinen gibt, dauert es wohl noch. Bis dahin können Vereine selbst Initiative ergreifen. Zum Beispiel, indem sie selbst den soganenannten Safe Sport Code eigenständig übernehmen und sich selbst zu Schutzmaßnahmen verpflichten.
Proficlubs blocken bei Safe Sport Code
Correctiv.lokal hat alle 36 Erst- und Zweitligavereine der deutschen Bundesliga nach ihren eigenen Kinderschutzkonzepten und dem Safe Sport Code befragt. Und tatsächlich antwortet unter anderem der 1. FC Nürnberg, man wollen den Safe Sport Code im November 2025 zur Abstimmung auf der Mitgliederversammlung stellen.
Die bayerischen Clubs FC Bayern München und FC Augsburg sowie sieben weitere Erst- und Zweitligaclubs antworten, sie wollten den Schritt prüfen. Der FC Union Berlin und Holstein Kiel hingegen haben sich gegenüber correctiv.lokal gegen eine Einführung des Safe Sport Codes zum jetzigen Zeitpunkt ausgesprochen.
Welche Erfahrungen habt ihr gemacht?Gemeinsam mit „CORRECTIV.Lokal“, „11FREUNDE“ und weiteren Medien recherchiert M94.5 zu psychischer, körperlicher und sexualisierter Gewalt im Jugendfußball. Wir wollen das Ausmaß des Gewaltproblems im Jugendfußball besser zu verstehen – und Missstände öffentlich zu machen. Aktive und ehemalige Fußballerinnen und Fußballer ab 16 Jahren können ihre Erfahrungen vertraulich und anonym hier mitteilen. Vor allem geht es dabei um Situationen, in denen Menschen womöglich ihre Macht missbraucht und Gewalt ausgeübt haben. Manchmal wird das den Betroffenen erst Jahre später bewusst. Die Umfrage ist vorausssichtlich noch bis zum 18. Mai offen sein.
Es gibt aber auch Vereine, die auf Eigeninitiative Konzepte installiert haben. Zum Beispiel ein Club im Münchner Südosten, dessen Konzept hier vorgestellt ist: