Kommentar

Politiker:innen macht euren Job

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Die Parteien verkaufen die Rolle der Opposition im Bundestag gerne als Selbstfindungskur. Die Politiker:innen laufen dabei Gefahr, ihren eigentlichen Auftrag als Gegenspieler zur Regierungsmehrheit zu vergessen. Ein Kommentar von Kilian Schroeder.

Nach 16 Jahren Regierungszeit findet sich die Union in der Opposition wieder – sie wäre gut beraten, diese Rolle ernst zu nehmen. Es ist beliebt, die Bühne der Opposition im Parlament zur eigenen Profilierung zu nutzen. Schon die SPD hatte – bevor sie am Ende doch regieren musste – im Jahr 2017 eine Art “Selbsterneuerung in der Opposition” vor. Ähnliches klingt nun bei der Union an. Die Opposition ist aber keine Selbstfindungskur, sondern eine der wichtigsten Rollen in der Demokratie.

Fehler aufzeigen statt Profilierung

Nach der für die Union desaströsen Wahlniederlage ist es verständlich, dass die zuständigen Politiker:innen um einen erfolgreicheren Kurs ringen. Das ist gut so und dieser Prozess sollte, gerade um dem Anspruch einer Volkspartei zu genügen, auch in der Öffentlichkeit stattfinden. Aber als Oppositionspartei ist die wichtigste Aufgabe nicht die Selbsterneuerung, sondern die Regierung zu kontrollieren. Dafür müssen sie die Fehler auf einer großen Bühne aufzeigen, anstatt sie zur eigenen Profilierung zu nutzen. Fraktionsvorsitzende, die ein Sondierungspapier ohne Steuererhöhungen und ohne neue Schulden als “strammste Linksagenda seit Jahrzehnten” betiteln, verfehlen ihren Auftrag. Echte Oppositionspolitiker:innen hätten die Schwächen dieses Papiers, die es ohne Zweifel gibt, aufgezeigt und die Ampel-Parteien dazu aufgefordert, Rechenschaft abzulegen. In der Realität scheint es aber eher, als ginge es manchen Politiker:innen nur um das persönliche Image.

Unions-Fraktionschef Ralph Brinkhaus: “Strammste Linksagenda seit Jahrzehnten”. Quelle: shutterstock.com

Welche Folgen es haben kann, wenn Parteien statt Oppositionsarbeit einer diffusen Parteierneuerung hinterherlaufen, hat sich in den USA gezeigt. Vor elf Jahren, kurz nach der Finanzkrise, hat der Minderheitsführer im US-Senat, der Republikaner Mitch McConnell, geschworen, den demokratischen Präsident Barack Obama zu einem “eine-Amtszeit-Präsident” zu machen. Statt ein eigenes Programm zu verfolgen, hatte die Partei einfach alle Gesetzesvorhaben blockiert. Obama hatte seine zweite Amtszeit nicht nur gewonnen – der Pfad, den die republikanische Partei damit eingeschlagen hat, hat mitunter der Welt den Trumpismus und die USA an den Rand des Bürgerkrieges gebracht.

Eine ehrenvolle und wichtige Pflicht

Denn auch wenn die Opposition aus den Wahlverlierer:innen besteht, ist die Regierungskontrolle in einer Demokratie eine ehrenvolle und wichtige Pflicht. Die Oppositionspartei muss zeigen, dass Streit in einem Parlament konstruktiv ablaufen kann und dass die Regierung der Öffentlichkeit mit allem, was sie tut, Rechenschaft schuldig ist – auch, oder vor allem mit ihren Fehlern. Das wäre gerade jetzt wichtig, nicht nur weil die neue Ampelkoalition den Anschein erweckt, sich gerne selbst auf die Schulter klopfen zu wollen. Sondern auch weil die beiden Oppositionsparteien neben der Union nur die rechtsextreme AfD und die für eine Fraktion kaum noch ausreichend vertretene Linkspartei sind. Die Union ist es den Bürger:innen schuldig, die Demokratie klar der angeblichen Reinkarnation als Volkspartei voran zu stellen.