Kommentar

Wandern im White Gaze

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In den Bergen kann man einfach richtig durchatmen, den ganzen Stress hinter sich lassen und sich am Gipfel über die Aussicht freuen – zumindest wenn man weiß ist. Eine Tatsache, die aber nicht von jedem anerkannt wird. Politikwissenschaftlerin Emilia Roig hat auf ihrem Instagram Account über die Zugangsbarrieren zum OutdoorSport gesprochen – und darauf einen Shitstorm geerntet. Völlig zu unrecht, denn eine kritische Selbstbeobachtung der Outdoor-Community ist mehr als überfällig. Ein Kommentar von Johanna Felber.

Wild und frei sein, das ist das Motto im Outdoorsport. Aber gerade das frei sein ist zum Beispiel für People of Color gar nicht so einfach. Zu oft müssen sich sie erklären oder als “gutes Beispiel” für Integration herhalten, als dass sie ganz entspannt einfach das Naturerlebnis genießen könnten. Die deutsch-französische Politologin Emilia Roig setzt sich im Explore Fund Council der Outdoor-Marke The North Face dafür ein, dass der Outdoor-Sport diverser wird. Sie hat auf ihrem Instagram-Profil kritisiert, dass es für viele People of Color schwierig ist, sich in weiß dominierten Outdoor-Aktivitäten wie dem Wandern wirklich wohl zu fühlen – und hat dafür einen regelrechten Shitstorm geerntet.

Wandern und Outdoor-Aktivitäten werden als eine weiße, männliche und bürgerliche Domäne wahrgenommen, die für viele Menschen weder zugänglich noch einladend ist. Das muss sich ändern, denn die Natur gehört niemandem.

Instagram Post von Emilia Roig

Einige Kommentator:innen äußern dabei lautstark ihre Meinung, dass es – freundlich umschrieben – ein Märchen wäre, dass Diskriminierung in der Outdoor-Community ein Problem wäre. Beim Wandern müssen man doch nur einen Fuß vor der anderen setzen, die Hautfarbe wäre da ganz egal. Doch jede Kletterhalle, jedes Alpenvereinstreffen und auch jede Hütte zeigt: People of Color sind im Outdoor-Sport definitiv unterrepräsentiert.

Und das liegt vor allem an den weiß dominierten Strukturen in der Outdoor-Community. Argumente, dass bestimmte gesellschaftliche Gruppen eben einfach andere Interessen hätten, kommen tief aus der rassistisch-kolonialen Tradition: weiße Menschen wären eben einfach die Entdecker, People of Color wären dagegen aus einer anderen Kultur, da ginge man nicht Bergsteigen. Dieses Othering, also Unterscheiden zwischen kultivierten Weißen und einfachen People of Color, wird selten so direkt ausformuliert, schwingt aber trotzdem häufig mit.

Rassistische Non-Plimente

Zum Beispiel, wenn eine weiße Person eine Person of Color auf der Hütte darauf anspricht, wie toll es sei, jemanden wie sie auch in den Bergen anzutreffen. Die Person wird hier auf ihre vermeintliche Herkunft reduziert, die ganz selbstverständlich im Ausland gesucht wird. Dass die Person ebenso in Deutschland geboren, aufgewachsen und mit den Großeltern in den Bergen gewesen sein könnte wie die weiße Person vielleicht auch – das wird bei dieser Äußerung ebenso kategorisch ausgeschlossen, wie die Tatsache, dass Bergsteigen weltweit begeisterte Anhänger:innen hat.

Dieser sogenannte White Gaze zerstört für die betroffenen Personen den Sinn des Naturerlebnisses selbst: die Erholung. People of Color müssen sich bei Outdoor-Aktivitäten immer wieder der Frage stellen, was sie hier eigentlich zu suchen haben. Das strengt an und führt dazu, dass sich das viele gar nicht erst zumuten – schließlich ist das Ziel von Hobbies wie dem Wandern ja den Alltag hinter sich zu lassen und nicht den täglichen Kampf in einer anderen Arena fortzuführen.

Reflexion statt Shitstorm

Dass sich einige so drastisch über Roigs Einsatz für eine offenere Outdoor-Community beschweren, zeigt in erster Linie, dass sich weiße Outdoor-Sportler:innen noch nicht genug Gedanken um ihre eigenen Privilegien gemacht haben. Beim Wandern selbst geht es nämlich tatsächlich vor allem darum, einen Fuß vor den anderen zu setzen – und nicht zu fragen, ob die anderen das auch wirklich könnten.

Anstatt also die Hierarchie zwischen einem selbst und wandernden People of Color immer wieder klarzustellen, sollte die Outdoor-Community den Blick lieber auf sich selbst richten und sich fragen: Warum gehöre ich hier angeblich so selbstverständlich her? Wie kann ich meinen Mitmenschen ermöglichen, sich hier ebenso wohl zu fühlen wie ich? Und vor allem: Wo soll die nächste gemeinsame Tour dann hingehen?