Kommentar

Posthume Alben – Musik aus dem Jenseits

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Der Tod von Musiker:innen ist tragisch, für viele aber auch sehr lukrativ. Posthume Alben, die also nach dem Tod der Künstler:innen veröffentlicht werden, sind mittlerweile ein großer Trend. Aber ist das ethisch überhaupt vertretbar und wer sollte davon profitieren? Ein Kommentar von Bennet Neumann.

31. Dezember 2020: Ein Social Media-Post auf dem Account von Jasmine Dumile erschüttert für einen Moment die Hip-Hop Welt. In ihrem Post erklärt sie, dass ihr Ehemann, der legendäre Rapper MF Doom, genau zwei Monate zuvor verstorben ist. Tribute und Beileidsbekundungen kommen aus allen Richtungen. Nicht nur Hip-Hop Größen wie Tyler, the Creator oder Questlove äußern sich zu seinem Tod. Sogar Radiohead-Frontman Thom Yorke veröffentlicht einen persönlichen Nachruf.

Und doch, nach dem Tod des Künstlers, am siebten Mai diesen Jahres erschien ein neues Album von ihm. “Super What?” von der Hip-Hop Supergroup Czarface & MF Doom sollte bereits im April 2020 erscheinen. Aufgrund der COVID-19 Pandemie wurde der release jedoch verschoben und erschien nun fünf Monate nach Daniel Dumile’s Tod. 

Im ersten Moment klingt das unproblematisch. Gerade im Fall von “Super What?”. Das Album wurde ja schon vor dem Tod des Künstlers fertiggestellt. Was aber, wenn das Album erst in der Entstehungsphase war? Was wenn der Tod ein Mord oder Suizid war? Dürfen Label vom Freitod junger Künstler:innen profitieren? Das Musikgeschäft muss sich in solchen Momenten die Frage stellen, ob Profit über Moral stehen darf.

Auch heute erscheint ein Album nach dem Tod des Künstlers. Mit „Faith“ kommt jetzt das zweite Studioalbum des Rappers Pop Smoke an die Kassen. Dabei sind die meisten der Songs Demos, auf denen Pop Smoke selbst nur kurz zu hören ist. Diese wurden dann von Produzent:innen und Feature-Gäst:innen, die der Rapper teilweise zu Lebzeiten gar nicht kannte, zu ganzen Songs aufgehübscht. Damit wird ein Produkt durch den Namen eines toten Mannes vermarktet, der selbst kaum etwas damit zu tun hatte und so nie veröffentlichen wollte.

Posthume Alben – nicht neu, aber trendig

An sich ist es kein neues Konzept in der Musik, bisher unveröffentlichtes Material zusammenzustellen und der Öffentlichkeit zu präsentieren. So ist Otis Redding‘s zweites Album „The Dock of the Bay“ erst drei Monate nach seinem Tod erschienen und erst dieses Album war es, was ihm den Status als Größe des Genres verliehen hat. Aber in den letzten paar Jahren hat sich das Phänomen dieser posthumen Alben quasi zum Trend entwickelt. Mit jedem tragischen Tod eines Künstlers oder einer Künstlerin ist das nächste Album praktisch sicher gewesen. Juice Wrld, Lil Peep, Pop Smoke und auch Mac Miller. Sie alle haben sich mit neuer Musik sozusagen aus dem Grab zurückgemeldet.

Posthume Alben – wer, wie und wieso?

Posthume Alben müssen sich vielen Kritikpunkten stellen. Zum einen betrifft das Schaffen der Künstlerin oder des Künstlers auch die Privatsphäre. Musik ist eine sehr persönliche Sache. Und nicht jeder Song, an dem gearbeitet wird, soll letztendlich auch die Ohren der Hörer:innen erreichen. Welche Songs nun auf dem Album landen, können Musiker:innen nach ihrem Tod aber nicht mehr entscheiden. Es hat eine fast voyeuristische Komponente, diese Gedankenschnipsel als fertigen Song zu präsentieren.

Daraus folgt auch die Frage nach der Qualität. Demos und unfertige Songideen aufzuhübschen und als fertiges Album zu präsentieren wird nie dieselbe künstlerische Qualität erreichen wie ein fertig produziertes Album, an dem die Künstler:innen von Beginn bis zum Ende des Projekts dabei sind. “Lioness: Hidden Treasures” kam fünf Monate nach dem Tod von Amy Winehouse und musste sich gemischten Reviews und einem Metacritc Score von 65 stellen.

Die elementare Frage, was zu tun ist, wenn Freund:innen oder Familienmitglieder sich gegen eine Veröffentlichung nach dem Tod stellen, führt zu großen moralischen Bedenken.  Rechtlich gesehen ist die Frage schnell geklärt. Wer das Copyright hat, darf entscheiden, was mit der Kunst passiert. Aber ist es wirklich vertretbar, dieses Recht zu nutzen, wenn bekannt ist, dass Familienmitglieder dagegen sind – oder sich die Künstler:innen selbst schon zu Lebzeiten dazu geäußert haben? So wie es der Rapper Casper schon in mehreren Interviews und in seinem Song “Deborah” getan hat.

“Und wenn ich endgültig unerreichbar bin, Lösch’ die Festplatte, schmeiß die Weg”

– Casper in “Deborah”

Letztendlich steht über vielem die Frage des Profits: Alleine 2020 waren mit Juice Wrlds “Legends Never Die” und Pop Smokes “Shoot For The Stars, Aim For The Moon” zwei Alben auf Platz Eins der Billboard Album Charts. Klar, nach einem Todesfall steigt die Wahrnehmung dieser Künstler:innen. Gerade im ersten dieser beiden Alben liegt ein großer thematischer Fokus auf den mentalen Problemen und der Drogensucht des Künstlers. Letztendlich starb er an einer Überdosis. Während seine Freundin und Mutter trauern, profitieren die Labels von seiner psychischen Verfassung. Dasselbe Geld könnte auch an die Hinterblieben gehen – oder an eine Stiftung, die über Sucht aufklärt.

Posthum done right – ein bisschen Trost

Aber nicht jedes posthume Album ist eine Katastrophe. Mac Millers “Circles” zum Beispiel wurde von Kritiker:innen und Fans zugleich gelobt. Das Album entstand größtenteils durch den Künstler selbst und in enger Zusammenarbeit mit dem Produzenten Jon Brion. Durch diese lange Zusammenarbeit konnte dieser das Album quasi ganz im Sinne der Künstlers beenden. Für viele Musikfans gilt mittlerweile genau dieses Album als das wichtigste Mac Miller Projekt. Musikalisch und emotional.

Posthume Alben wird es vorraussichtlich immer geben. Es bleibt zu hoffen, dass sich alle Beteiligten ein Positivbeispiel an Alben wie “Circles” nehmen und sich ein respektvoller Umgang mit dieser Kunst durchsetzt. Nicht nur für die verstorbenen Künstler:innen, sondern auch für Angehörige und Fans kann dies ein gebührender Abschied sein. Um neben dem großen Geschäft auch ein bisschen Trost zu schenken.