Kreative Quarantäne

Zur Muße gezwungen?

/ / Bild: Eddie Dean / shutterstock

Sich einfach mal nur Zeit für sich nehmen und nichts tun. Muße muss tatsächlich gar nichts mit Langeweile oder Faulheit zu tun haben, sondern kann zu ganz neuen Ideen führen. Eine Glosse.

„Muße ist der schönste Besitz von allen“, dieses Zitat wird dem griechischen Philosophen Sokrates zugeschrieben. Und tatsächlich hat die Muße – also die Zeit, die eine Person komplett nach eigenen Wünschen und unabhängig von anderen gestalten kann – ihren Ursprung in der Antike. In der Hochzeit der Philosophen galt sie als wichtig und nötig, um zur Ruhe zu kommen und die eigene Kreativität zu entdecken. Während die Muße in der Antike als wertvoll betrachtet wurde, galt sie im Mittelalter als eines der sieben Hauptlaster und wurde mit Trägheit gleichgesetzt. Mit dem Protestantismus hat die Jagd gegen die Muße endgültig begonnen. Arbeit und Beruf standen im Vordergrund, sich Zeit für sich selbst zu nehmen – unvorstellbar. 

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“Ich will hier nur sitzen” – beste Voraussetzung für Muße.

Muße – jetzt!

Jetzt, in Zeiten von Ausgangssperre und Quarantäne erlebt die Muße eine wahre Renaissance. Dass dieses Konzept überhaupt einer Wiederbelebung bedarf, kommt dabei hautsächlich dem weitverbreiteten Denken unserer Gesellschaft zuschulden: Ständige Erreichbarkeit, 48-Stunden-Wochen, alles und jeder arbeitet auf das freie Wochenende hin. Logisch, dass das dann auch genutzt werden muss. Ein Kurztrip also oder zumindest ein Kuchen bei Oma – Irgendetwas, das zeigt, dass die hart erarbeitete Freizeit auch sinnvoll genutzt wird. Mit Muße hat das allerdings rein gar nichts zu tun. Sie ist sich selbst genug, ein Verwertungszweck steht nicht im Sinne ihrer eigentlichen Bedeutung. Genau aus diesem Grund kommt sie im alltäglichen Leben oft zu kurz. Die Quarantäne schafft neue Voraussetzungen: Nach einem anfänglichen Schock, scheint sich der Großteil inzwischen an die neue Situation gewöhnt zu haben. Man könnte fast sagen: Wir wurden zur Muße gezwungen, oder?

Muße oder Langeweile?

Zur Ruhe kommen, sich mit dem beschäftigen, was einem wirklich am Herzen liegt. Wie wichtig die Muße gerade in unserer heutigen Gesellschaft für den Menschen ist, betont auch Peter Sturm. Er ist Diplompsychologe und in der Gesellschaft für Gehirntraining für die Ausbildung von Trainern zuständig.

„Wir haben kaum mehr Muße. Wir sind ja fast immer unter Druck. Zum Teil von außen, aber zum größten Teil von innen. Wir wollen erfolgreich sein, wir wollen mehr erreichen, wir wollen mehr machen und dieser Druck verhindert, dass wir das, was wir Muße nennen, mal genießen können.“

Peter Sturm

Kreativität kann laut Peter Sturm nur dann entstehen, wenn der Mensch nicht unter Stress steht. Stress kann allerdings auch durch Langeweile entstehen. Die erzwungene Passivität führt zu einem Dopaminmangel im Gehirn, der starke Verstimmungen auslöst. Einem kreativen Schaffensprozess steht die Langeweile damit also im Weg. Zudem könne Muße niemals erzwungen sein, so der Psychologe. Wenn die Menschen die Quarantäne nutzen wollen, so müsse das freiwillig und aus eigenem Antrieb heraus im Sinne der persönlichen Interessen geschehen.

Kreativität in der Quarantäne

Die aus der Muße heraus entstandenen Werke sind sich allerdings oft zu schade für das stille Kämmerchen. Ihr Schaffen wollen aus diesem Grund jetzt auch viele mit der restlichen Welt teilen. Möglichkeiten dazu bieten in erster Linie soziale Netzwerke: Facebook, Instagram Twitter, oder aber – der Balkon. In Zeiten physischer Isolation wird er zum Symbol für Gemeinschaft, indem er das Drinnen mit dem verbotenen Draußen verbindet. Er bietet eine Plattform für moderne Minnesänger – nur, dass die eben nicht von unten herauf singen, sondern von oben herunter.

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