Zwangsstörungen

Wenn Hygiene zum Zwang wird

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Die diffuse Befürchtung sich anstecken zu können, ist bei vielen wegen der Corona-Pandemie ein täglicher Begleiter. Mundschutz, Desinfektion, gründliches Händewaschen – mittlerweile ist das Routine. Was jetzt ein Großteil der Bevölkerung erstmals bewusst erlebt, gehörte für Betroffene von Waschzwängen schon vorher zum Alltag.

Die allgegenwärtige Angst vor einer Corona-Infektion bemerkt auch Dr. med. Andreas Wahl-Kordon in der Gesellschaft. Er ist Facharzt für Psychatrie und Psychotherapie und vermutet:

 „Es könnte sein, dass Zwangserkrankungen mehr zunehmen in nächster Zeit, weil sie auf einen Nährboden fallen.“

Dr. med. Andreas Wahl-Kordon

Es kann jedoch sein, dass die absolute Fallzahl psychischer Krankheiten gar nicht steigt. So sind laut Dr. Wahl-Kordon besonders Menschen betroffen, die bereits eine gewisse Anfälligkeit für Zwänge besitzen, oder bereits betroffen sind.

Doch was steckt hinter den Zwängen? Der Therapeut Burkhard Ciupka-Schön erklärt, dass Zwänge meistens durch vage Bedrohungen ausgelöst werden: „Eine konkrete Bedrohung wäre ein Hund. Ich kann einfach die Tür zu machen und dann ist die Bedrohung beendet.“ Das geht bei diffusen Befürchtungen, wie zum Beispiel der Angst vor Viren, nicht. Sie sind nicht greifbar.

Das Zwangsmonster

Genauso ist es auch bei Lisa*, einer Betroffenen. Bei ihr steckt die Angst, sich anstecken zu können, hinter dem Zwang.

 „Ich stelle mir den Zwang manchmal wie ein Monster vor, das in meinem Kopf sitzt. Es sagt mir nach der Busfahrt dann zum Beispiel: ‘Wenn du jetzt nicht alles penibel wäschst, wirst du krank und deine Familie anstecken, weil du mit ihr zusammenwohnst.’ Ich habe also gar keine andere Wahl als den Zwang auszuführen, wenn ich das Risiko nicht eingehen will.“

Dieses Muster beschreibt Herr Ciupka-Schön auch in seinem Buch „Zwänge bewältigen!“: Am Anfang gibt es nur einen Gedanken, der ein negatives Gefühl wie Angst auslöst. Bei Waschzwängen kann das eben die Angst sein, sich anzustecken. Um diese Angst zu neutralisieren, muss dann eine Zwangshandlung ausgeführt werden. Es müssen zum Beispiel immer öfter und länger die Hände gewaschen werden. Erst dann lässt die Anspannung nach. Betroffene haben dadurch das Gefühl, die Angst besser kontrollieren zu können. Aber der Schein trügt.

OCD steht für obsessive-compulsive disorder, auf deutsch: Zwangsstörung.
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Denn laut Herrn Ciupka-Schön gaukeln Zwangshandlungen eine falsche Sicherheit vor. Wenn jetzt Betroffene auf ihr „Zwangsmonster“ hören und Zwangshandlungen ausführen, geben sie dem Zwang immer mehr Bestätigung und die eigene Verunsicherung steigt. Der Zwang nimmt mehr Raum ein und sie selber stellen sich selbst immer weiter hinten an. Das Zwangsmonster wächst und versucht immer mehr den Weg ansagen zu wollen.

Zwänge erkennen

Zwang hat viele Gesichter: Neben Waschzwängen gibt es Kontrollzwänge, Wiederholzwänge, Sammelzwänge und noch viel mehr. Manche Zwangshandlungen finden auch rein gedanklich statt. Laut Herrn Ciupka-Schön besteht auch ein Problem darin, dass sich der Zwang auf Tätigkeiten setzt, die wir allgemein als Tugenden bezeichnen. Auch Lisa* will durch ihr Verhalten eigentlich „nur“ ihre Familie schützen. Es geht also auch um die Frage der Maßstäbe: Welches Verhalten ist angemessen, welches übertrieben? Wird das Verhalten ausgeführt, weil es angemessen ist, oder weil der Zwang es befiehlt?

Dazu erklärt Dr. med.  Andreas Wahl-Kordon, dass die Befürchtungen von den Betroffenen zwar als übertrieben eingeschätzt werden, aber nicht mehr dem rationalen Verständnis zugänglich sind. Der Bezug zu realen Gefährdungen geht verloren. So könnte dann bei der Angst vor einer Infektion bei einer Impfung angezweifelt werden, ob sie auch wirklich einen hundertprozentigen Schutz bietet. Das Problem hat sich dann verselbstständigt. Anders sieht das bei Menschen aus, die nur zwangsnahe Symptome zeigen. Ihre Vorsichtsmaßnahmen sind vielleicht übertrieben, aber sie können noch rational argumentieren. Diese Betroffenen würden dann die Vorsichtsmaßnahmen wieder einstellen.

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Ansprechpartner und Hilfe

Wer vermutet, von Zwängen betroffen zu sein, dem empfiehlt Herr Dr. med. Wahl-Kordon, den Rat eines Hausarztes oder Therapeuten einzuholen. Aber auch Selbsthilfeliteratur kann helfen, um das eigene Verhalten besser einschätzen zu können.  Auf jeden Fall sollte schnell gehandelt werden, denn laut Herrn Ciupka-Schön ist es wie beim Rauchen. Mit jeder Zwangshandlung kann es schwerer sein, davon wegzukommen.

*Name von der Redaktion geändert