Buchkritik

Zeit der Lügen

/ / Bild: Jaya Mirani

In einem Internierungslager verlieben sich zwei Mädchen ineinander. Wie ihre Liebe durch Spionage, Verrat und dem Zweiten Weltkrieg auf die Probe gestellt wird, lesen wir in Zeit der Lügen von Monica Hesse.

Ein Ort, zwei Schicksale

“Warum?” – Diese Frage kreist in Haruko Tanakas Kopf seit ihr Vater vom FBI der Spionage beschuldigt und in ein Internierungslager für “feindliche Ausländer” gesteckt wurde. Haruko und der Rest ihrer Familie beschließen daraufhin ihr Leben in Denver aufzugeben. Sie gehen freiwillig nach Crystal City in das Lager, um bei der Seite ihres Vaters zu sein. Auch dort lassen Haruko unbeantwortete Fragen und Frustration einfach nicht los: Warum ist ihr Vater wirklich hier und warum sagt er ihre den wahren Grund? Warum behandelt die Regierung sie und ihre Familie so, obwohl sie ihr ganzes Leben lang hier gelebt haben?

Warum ihre Familie in Crystal City ist, weiß Margot Krukow ganz genau: Wegen einem Fehler ihres Vaters, wird er irrtümlich für einen Nazi gehalten und ins Internierungslager geschickt. Dort versuchen sie sich von den anderen deutschen Familien und Nazi-Sympathisanten fern zu halten. Deswegen schickt ihre Familie Margot auf die amerikanische Schule, statt auf die deutsche. Aber auch dort findet die schüchterne 15-Jährige kaum Anschluss, bis sie auf Haruko trifft.

Freundschaft oder Feindschaft?

Die zwei Mädchen könnten unterschiedlicher nicht sein. Die nach außen hin aufgeschlossene Haruko war schon immer mit den beliebten Mädchen der Schule befreundet, während die verschlossene Margot von anderen gehänselt wird und lieber alleine bleibt. Unter normalen Umständen hätten sie sich nicht kennengerlernt, aber in Crystal City ist es alles andere als normal. Gefangen hinter hohen Stacheldrahtzäunen verbindet die beiden die Sehnsucht nach Normalität, Rückkehr und Freiheit. Fast wortlos verstehen sie sich untereinander und vertrauen sich ihre tiefsten Ängste und Gefühle an.

“Es stellte sich heraus, dass man sich an einen Ort zurückwünschen kann, an dem man nie sein wollte”

Zeit der Lügen – Monica Hesse

Unter einem schlechten Stern

Gestohlene Blicke, Handzeichen und ein geheimer Treffpunkt – Niemand der anderen Insassen darf erfahren, dass die beiden eine innige Freundschaft pflegen. Jedoch wird es immer schwieriger ihre offensichtliche Zuneigung, die sie sich nicht eingestehen können, vor anderen zu verstecken. Während sie gegen ihren Gefühlschaos ankämpfen, müssen sich die beiden anderen ernsteren Problemen widmen: Mit Harukos Bruder, der an der Front kämpft, scheint irgendetwas nicht zu stimmen und Margots Vater sympathisiert immer mehr mit den Nazis im Lager. Welche Auswirkungen hat der Krieg auf ihre Beziehung? Können sie einander wirklich trauen?

Fesselnd bis zum letzten Moment

Obwohl Zeit der Lügen fast 400 Seiten hat, ist es ausgenommen von ein paar Stellen, wo sich die Erzählung zieht, einfach zu lesen. Denn fast jedes Kapitel endet mit kleinen Cliffhängern, sodass die Leser:innen gleich zum Nächsten gehen wollen. Das historische Setting wird verständlich und überzeugend beschrieben und wir merken, dass genaue Recherche hinter der Erzählung steckt. Auch die Charaktere wachsen einem ans Herz: Sie sind menschlich, verwundbar und lassen uns an ihrem inneren Zwiespalt und Gefühlschaos teilhaben.

Was zu kurz kommt sind tiefere Auseinandersetzungen mit dem Zweiten Weltkrieg und Rassismus. Die Thematisierung ist nur knapp und oberflächlich, obwohl sie in einem deutsch-japanischen Lager sind und unter den deutschen Insassen offenkundige Nationalsozialisten sind.

Lügen über Lügen

Die Motive Vertrauen, Lügen und Wahrheit ziehen sich durch das ganze Buch. Das spiegelt sich vor allem in den verschiedenen Ich-Erzählperspektiven von Margot und Haruko. Schon zu Beginn werden zwei unzuverlässige Erzählerinnen etabliert. In den kleinen kursiven Zwischenzitaten, die vor bestimmten Kapiteln kommen, widersprechen sich die Charaktere zum Teil in ihren Aussagen.

Haruko erinnert sich falsch. Sie erzählt, was sie für wahr halten will. Ich habe die Blumen nicht auf ihren Tisch gelegt.

Zeit der Lügen – Monica Hesse

So sind sich die Leser:innen nicht immer sicher was davon alles wahr ist und was nur erfunden. Durch die Widersprüche wird Spannung erzeugt und den Charakteren eine zusätzliche Tiefe gegeben. Wir bleiben kritisch und hinterfragen – und das bis zum Schluss.