Buchkritik

Yellowface

/ / Bildquelle: Eichborn-Verlag, Covermotiv von Elena Abrazhevich/Shutterstock.com

Rebecca F. Kuangs zweiter Roman ist da! Nach “Babel” widmet sie sich mit “Yellowface” einem ganz anderen Thema und schreibt einen Satireroman über den Literaturbetrieb. Darin stiehlt die erfolglose Schriftstellerin June das Manuskript ihrer Freundin und Star-Autorin Athena Liu, nachdem die tragisch ums Leben gekommen ist. Das Buch geht durch die Decke und macht June endlich zur Bestseller-Autorin – aber fliegt der Schwindel auf?

Athena Liu has it all. Sie ist schön, intelligent, erfolgreich und selbstsicher. Ihre Romane werden gekauft wie verrückt, die Welt liebt sie. June kann davon nur träumen. Ihr erster Roman ist gefloppt und sie meint auch, genau zu wissen, wieso:

Athena – eine wunderschöne, internationale, potenziell queere Woman of Color mit Yale-Abschluss – wurde von einer höheren Macht auserwählt. Ich hingegen bin nur June Hayward aus Philly, braune Augen, braune Haare – und ganz egal wie hart ich arbeite oder wie gut ich schreibe, ich werde niemals Athena Liu sein.

Yellowface / Rebecca F. Kuang

June ist missgünstig. Alles ist durch ihre verzerrte Wahrnehmung getrübt, und das macht die Geschichte von Anfang an so amüsant zu lesen. Aber schnell wird klar, dass sie nur eine unausstehliche Person in einer Welt voller unausstehlicher Personen ist, die auch ihr echt übel mitspielen.

Satire vom Feinsten

Junes Sichtweise auf die Welt ist problematisch, ungefiltert und amüsant. Es fällt leicht, über ihre rassistischen Schlussfolgerungen schockiert den Kopf zu schütteln und über June zu lachen. Aber es kann nicht nur über sie gelacht werden, sondern auch mit ihr. Die Figuren im Buch verhalten sich nämlich oft dämlich, widersprüchlich oder einfach nur lustig. Wirklich jede:r wird hier durch den Kakao gezogen, ob es die Lektorin ist, die die Rassismus-Erfahrungen der Charaktere in Athenas/Junes Buch unglaubwürdig findet, oder ob es die Studentin ist, die gekleidet ist wie eine rechte Parodie auf eine Linke. Der Humor ist eine große Stärke von „Yellowface“.

Wer darf welche Geschichte erzählen?

Bei allem Spaß beschäftigt sich der Roman mit ernsten Themen: Rassismus, kulturelle Aneignung. Die Frage, wer das Recht hat, eine Geschichte zu erzählen. In dem Buch, das June von Athena klaut und aufbereitet, geht es um China im ersten Weltkrieg – eine Geschichte, die sie in den Augen vieler nicht erzählen hätte dürfen.

„Ich möchte nicht in einer Welt leben, in der wir Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe diktieren, worüber sie schreiben dürfen und worüber nicht.“

Yellowface / Rebecca F. Kuang

June ist in ihren Aussagen zwar problematisch, aber spricht trotzdem einen wichtigen Punkt an. Die Frage, wer was erzählen darf, wird im Buch nicht geklärt, sondern es bietet vielseitige Denkanstöße.  

Absurdität ex machina

Gleich im ersten Kapitel stirbt Athena einen monty-python-esken Tod: Sie erstickt an einem Pfannkuchen bei einem Pfannkuchen-Wettessen. Diese absurd-ekelhaften Momente ziehen sich durch den Roman und sind manchmal etwas too much. Sie sprengen dann sogar den Rahmen der Glaubwürdigkeit, den ein Satirebuch wie dieses aufbaut.

Und vielleicht ist es der Alkohol, oder es ist meine wilde Autorinnen-Fantasie, aber ich spüre einen glühenden Knoten im Magen, den bizarren Drang, meine Finger in ihren himbeerrot bemalten Mund zu stecken und ihr Gesicht zu zerreißen, ihr die Haut vom Körper zu schälen, wie von einer Orange und sie mir selbst überzustülpen.

Yellowface / Rebecca F. Kuang

Der rote Faden franst aus

Wird sie damit durchkommen? Das ist die Frage, die den Spannungsbogen von Anfang an bis zum Anschlag spannt. Sie klaut die Geschichte ihrer Freundin. Sie schreibt sie um. Sie wird dadurch reich und berühmt. Aber irgendwann muss doch der Moment kommen, wo die Bombe platzt und ihr alles um die Ohren fliegt! Oder? Im Verlauf des Buches verliert diese These irgendwie an Bedeutung und der Roman dadurch an Kohärenz. Der rote Faden löst sich mehr und mehr auf, bis sich langsam die Frage aufdrängt, wohin das alles führt. Leider ist das letzte Drittel des Romans deshalb weniger stark als der Beginn.

Eine Horrorgeschichte über Einsamkeit

In der Danksagung beschreibt Rebecca F. Kuang ihren Roman als „Horrorgeschichte über Einsamkeit“ und trifft den Nagel damit auf den Kopf. Im Laufe des Buches stellt sich eine Gewöhnung an die Satire ein. Unterdessen wächst ein Gefühl des Unwohlseins. June ist allein. Sie hat keine echten sozialen Beziehungen. Die meiste Zeit verbringt sie in ihrer Wohnung und liest Hate-Kommentare. Dass die Inspiration für neue Bücher ausbleibt, ist verständlich. Eher kommt die Frage auf, wieso sie überhaupt schreiben will.

Deshalb stimmt es, dass „Yellowface“ besser als Horrorgeschichte funktioniert als als Unterhaltungsliteratur. Wer mit dieser Erwartung an die Geschichte herangeht, kann ihr vermutlich sogar mehr abgewinnen.

Mit Einschränkung lesenswert

„Yellowface“ ist ein packender Thriller, der etwas aus den Fugen gerät. Er bietet dennoch viel Lesevergnügen und ist perfekt für einen Lesemarathon. “Yellowface” ist beim Eichborn-Verlag erschienen und kostet 24 Euro.