LMU Science Talk

Was uns die Pandemie über Verschwörungserzählungen gelehrt hat

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In der sechsten Ausgabe der LMU Science Talks diskutierten Professorin Ursula Münch, Direktorin der Politischen Akademie Tutzing, mit Professor für Kommunikationswissenschaft Carsten Reinemann über den Forschungsstand zu Verschwörungserzählungen. Die beiden stellten fest, dass die Pandemie ein besonderes Schlaglicht auf dieses Thema geworfen hat und erläuterten, ob wir sogar von einer Spaltung der Gesellschaft ausgehen müssen. 

Ob Mikrochips von Bill Gates oder eine geheime Weltregierung, die eine biologische Waffe einsetzt: Drei Jahre Pandemie haben mehr Verschwörungserzählungen hervorgebracht als die meisten Bürger:innen für möglich gehalten hätten.

Eine Verschwörungstheorie oder Verschwörungserzählung besteht im Prinzip darin, dass man behauptet, dass eine kleine Gruppe von in der Regel mächtigen Menschen, Akteuren, Gruppen im Geheimen agiert, um bestimmte, als negativ für die Gesellschaft wahrgenommene Entscheidungen zu treffen.

Carsten Reinemann

Verschwörungstheorie oder Verschwörungserzählung? 

Einige Fachleute betonen, dass es wichtig sei, den Begriff Verschwörungserzählung zu verwenden. Denn der Ausdruck Verschwörungstheorie könnte den Anschein erwecken, dass es sich um eine wissenschaftliche Arbeitshypothese handle.

Bild: LMU München

Reinemann ist allerdings der Ansicht, dass beide Begriffe verwendet werden können, da sowohl Verschwörungstheorie als auch Verschwörungserzählung das Wort „Verschwörung“ beinhalten.

Verschwörungsmentalität als Grundvoraussetzung

Der Professor für Kommunikationswissenschaft hat sich systematisch damit auseinandergesetzt, wie es überhaupt dazu kommt, dass eine Einzelperson oder Gruppe anfängt, an eine solche Erzählung zu glauben: Grundvoraussetzung sei eine sogenannte Verschwörungsmentalität – eine gewisse Grundeinstellung also, die dann gerade in Krisenzeiten möglich werden lässt, dass jemand an eine im Geheimen agierende, mächtige Gruppierung glaubt.

Auch Podiumsgast Professorin Ursula Münch beobachtet, dass das Thema seit Pandemiebeginn verstärkt in den Blick gerate. Sie plädiert dafür, dass auch die Kommunikation von politisch, medial oder wissenschaftlich tätigen Menschen verbessert werden sollte.

Bild: Jan Roeder

Wo sind woanders Fehler gemacht worden, im Bereich Politik, in der Vermittlung von Politik? Wo sind die Medien, die besser arbeiten könnten, wo könnte die Wissenschaft weniger voreingenommen wirken?

Ursula Münch

Sie betont auch den Aspekt der Selbstermächtigung, der manche Menschen in Krisenzeiten zu Verschwörungsgläubigen macht. 

Vertrauen in Medien entscheidend

In einer kürzlich publizierten Studie, die Daten in der Frühphase der Pandemie im Frühling 2020 erhoben hat, kam das Forschungsteam rund um Carsten Reinemann zu einem interessanten Schluss: Je größer das gesellschaftliche Vertrauen in Massenmedien ist, desto eher hält sich die Bevölkerung in Krisenzeiten an staatlich verordnete Maßnahmen. 

Ein Problem dabei: In der Pandemie wurde ja auch wiederholt Stimmen eine mediale Bühne geboten, die nicht den Stand des Wissens abbildeten. Das führt Reinemann auch darauf zurück, dass die wissenschaftliche Sachlage gerade in der Frühphase der Pandemie noch nicht ganz klar gewesen sei. Doch der Experte hat noch einen anderen Grund für dieses Phänomen im Verdacht: 

Die extreme Medienkritik der vergangenen Jahre könnte in manchen Redaktionen dazu geführt haben, dass man schon ein Stück weit dazu neigt, einfach um der vermeintlichen Ausgewogenheit willen auch mal Leute einzuladen, wo dann nicht ganz klar ist, ist das eine legitime andere Meinungsäußerung oder ist das etwas, was man in den Bereich der Fehlinformation packen kann

Carsten Reinemann

False Balance in deutschen Medien?

So lässt sich zumindest teilweise erklären, warum in manche deutschen Talkshows auch wiederholt Personen eingeladen wurden, die mit ihren Prognosen zur Weiterentwicklung der Pandemie nicht ein oder zwei Mal, sondern konsequent danebenlagen. Gibt es also inzwischen in deutschen Leitmedien ein false Balance-Problem? Also eine falsche Ausgewogenheit, die dafür sorgt, dass Minderheitenansichten ähnlich viel mediale Bühne gegeben wird wie Personen, die den aktuellen wissenschaftlichen Konsens vertreten? Dies sei nicht ohne Weiteres zu beurteilen. Laut Reinemann braucht es nämlich noch viel mehr systematische Analysen, um diese Frage wirklich seriös beantworten zu können.

Gibt es eine Spaltung der Gesellschaft?

Verschwörungserzählungen haben also speziell in den vergangenen drei Jahren den gesellschaftlichen Zusammenhalt stark strapaziert. Ursula Münch hält eines jedoch nicht für angemessen.

Ich spreche nie von der Spaltung er Gesellschaft, wir haben zwar einen sich abspaltenden Teil der Gesellschaft, aber Spaltung der Gesellschaft hört sich ja immer so an, ob das zwei gleich große Gruppen sind.

Ursula Münch

Carsten Reinemann dagegen betont, dass es zwar zahlenmäßig kein 50:50-Verhältnis zwischen Verschwörungsgläubigen und der restlichen Gesellschaft gebe. Doch immerhin würden Untersuchungen zeigen, dass in Deutschland zwischen zehn und 20 Prozent der Bürger:innen an eine oder mehrere Verschwörungserzählungen glaubten.

Bei aller berechtigen Sorge vor den gesamtgesellschaftlichen Folgen von weit verbreiteten Verschwörungserzählungen: Das Phänomen wird sowohl in der Wissenschaft als auch medial jetzt verstärkt diskutiert – nicht zuletzt in der Hoffnung vieler Bürger:innen, dass bald wieder mehr Menschen faktenorientiert argumentieren.