Politik im freien Theater

The End of the World as we know it

/ / Bild: Guillaume Musset

Wie macht man eine Person zum Gegenstand eines Theaterstückes, über die man eigentlich gar nicht sprechen möchte? Regisseurin Corinne Maier ist dieser Frage im Rahmen des Festivals “Politik im freien Theater” nachgegangen.

Die vier Darstellerinnen des Abends sitzen in einer Reihe vor dem Publikum auf Holzstühlen und mustern es aufmerksam. Dann beginnen sie untereinander zu diskutieren:  Wie das Stück, das der Zuschauer gerade zu sehen bekommt entstanden ist, was sein Inhalt sein soll und wie sehr es ihnen eigentlich widerstrebt genau darüber etwas zu machen. Es soll nämlich um einen renommierten Basler Kulturhistoriker gehen, Jacob Burckhardt, der dieses Jahr seinen 200. Geburtstag feiert.Von außen wurden die Künstlerinnen gefragt, ob sie nicht zu diesem Jubiläum etwas machen wollten. Wollten sie eigentlich nicht, denn der Mann, der auch den 1000-Franken-Schein ziert, war nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Antisemit.

Kluger Umgang mit dem Sujet

Witzig und reflektiert debattieren die Vier über den Sinn ihres Projekts. Wie kann man jemanden thematisieren, über den man nicht sprechen will? Wird ein Stück vor allem gemacht, weil es Geld bringt? Oder kann man es nur machen, wenn man sich als Künstler auch wirklich dafür interessiert und dahintersteht? Der Unterschied zwischen städtischem Theater und freier Szene wird hier en passant angesprochen und in die Diskussion mit eingebunden. Genau wie viele andere Aspekte, die sehr wenig mit der Person Burckhardts und viel mehr mit Theaterproduktion und -rezeption und ihrer Bedeutung in der Gesellschaft zu tun haben. Die Idee, ein Stück über die gescheiterte Entwicklung eines Stückes zu machen, funktioniert sehr gut. Schön ist auch, dass im Diskurs über die zweifelhafte Person Burckhardts viele aktuelle und relevante Fragen aufgeworfen werden. So etwa, wieso eigentlich schon wieder etwas über einen toten, weißen Mann gemacht wird. Oder wie ein Mensch sich zu Antisemitismus zu verhalten hat und wie er mit historischen Figuren umgeht.

Gefangen in einer riesigen Plastikblase

Irgendwann haben die Darstellerinnen genug geredet und breiten eine riesige Folie aus Plastik aus, auf die sie sich legen. Das Gebilde ist aufblasbar, wie sich bald herausstellt. Während immer mehr Luft in die Blase strömt, heben die Künstlerinnen langsam vom Boden ab und werden von den Plastikwänden eingeschlossen. Wie ins Wasser gesprungene und dann eingefrorene Körper sehen sie aus. Räumlich sind sie zwar nah beieinander und doch ist jeder für sich.

Verschiedene Interprationsmöglichkeiten

Die Blase und das Eingeschlossensein kann auf unterschiedlichste Weise interpretiert werden, wie auch die Assoziationen verschiedener Zuschauer später im Publikumsgespräch zeigen. Sie könnte ein zellulares Gebilde sein, ein Blutkörperchen vielleicht, aber womöglich auch unser Planet Erde. Die Isolation der Schauspielerinnen in der Blase könnte ein Gefangensein in immer gleichen Diskursen darstellen. Vielleicht aber auch eine Gesellschaft, in der jedes Individuum für sich ist, aber gleichzeitig auf andere angewiesen ist – sein Handeln direkte Auswirkungen auf den anderen haben kann. Denn um im Gleichgewicht zu bleiben und nicht von der Plastikblase zu fallen, müssen die Darstellerinnen genaustens auf ihre Bewegungen und die der anderen achten. Das Luftgebilde mit den vier Menschen darauf/darin ist allein optisch ein starkes Bild und lässt viel Raum für Interpretation. Regisseurin Corinne Maier hat mit „The End of the World as we know it“ ein anregendes Stück geschaffen, das geschickt relevante Themen und Fragen aufgreift und teilweise mit sehr wenig, sehr viel sagt.