Bild: Ramona Reuter

SPIELART FESTIVAL 2021

THE DRYING PRAYER

/ / Bild: Ramona Reuter

Ein See bedeutet Leben. Wenn er austrocknet, ist das der Tod für alle Lebewesen um ihn herum. THE DRYING PRAYER verarbeitet das Leben um den Tschadsee am Rand der Sahara zwischen Klimakatastrophe, Krieg und Nachtleben.

Ein Band aus zusammengeknüpften Plastikplanen, Säcken, Netzen und Gummi-Sohlen hängt von der Decke der Bühne im HochX. Nach und nach treten die vier Tänzer:innen auf. Mal verkörpern sie Wasser in wellenartigen Bewegungen, mal Personen, die Wasser aus dem See auf ihrem Kopf transportieren. Sie performen mit dem Müll, verstricken sich darin oder nutzen ihn als Waffen, die sie kampfbereit in die Höhe strecken. Dazu füllt Musik den Raum, die aus traditionellen afrikanischen Klängen und modernen Techno-Beats schöpft, sie mischt, nebeneinander stellt oder sie ineinander übergehen lässt.

Die Tänzer:innen Baidy Ba, Hervé Daknga, Aimé Djedonang und Aly Karembé verstrickt im Plastikmüll. Bild: Ramona Reuter

MISCHUNG DER STILE

In den fünf Szenen, die sich durch den Abend ziehen, interagieren nicht nur in der Musik die Genres. Auch die Choreographie spielt mit unterschiedlichen Stilen. Zeitgenössischer Tanz und traditionelle Bewegungsabläufe greifen gerade in den ersten Szenen ineinander, dabei werden immer auch Elemente des HipHop und des Coupé-Decalé eingestreut, bis der street dance gegen Ende der Performance die Überhand gewinnt.

Die letzte Szene, in der die Kostüme bunt und die Bässe laut werden, ist eine Party-Szene, die es dem Publikum erspart mit schweren Gedanken das Theater zu verlassen. Vielleicht soll sie den Szenen von Tod und Gewalt, die sich tatsächlich in der Region um den Tschadsee abspielen, eine lebensbejahende Gegenkultur tänzerisch gegenüberstellen. Sie wirkt im Kontext der Inszenierung aber leider etwas erzwungen. Wo die Tänzer:innen eben noch mit grimmiger Energie einen Widerstand getanzt haben, in Hebungen und kämpferischen Bewegungen Wut verkörpert haben, scheint plötzlich freudentrunkene Leichtigkeit die Bühne auszufüllen. Ob es die gewollte Kritik am Hedonismus war oder nur ein ungewollt unpassender Freispruch vom inhaltlichen Gewicht der Inszenierung – das fröhlich aus dem Takt klatschende Publikum war ein unglücklicher Abschluss für einen sonst sehr berührenden Abend.

DAS INHALTLICHE GEWICHT

Tod und Leben, Gewalt und Befreiung stehen in THE DRYING PRAYER nah aneinander. Regisseur Taigue Ahmed verarbeitet darin nicht nur die drohende Austrocknung des Tschadsees durch die Umweltkatastrophe, sondern auch die humanitäre Krise ausgelöst durch Bürgerkriege und die Terror-Organisation Boko Haram, die seit 2009 vor allem in Nigeria, aber auch Tschad, Kamerun und Niger (alles Anrainerstaaten des Tschadsees) tausende Menschen getötet hat. Die Tänzer:innen zeigen in Bewegungen das Leid der Bevölkerung, den Widerstand und die Angst, die beide Katastrophen ausgelöst haben, so eindrücklich, dass Worte es nicht besser gekonnt hätten.

Wer trotzdem mehr Hintergrundinformationen wünscht, findet sie in der Fotoausstellung Shoring up Stability – die Tschadseeregion im Klimawandel (Fotos von Arno Trümper) im Foyer des Hoch X. Sie zeigt was die Performance bereits ohne Worte dargestellt hat: Beide Krisen – die ökologische und die militärische – verstärken einander.

THE DRYING PRAYER von Taigué Ahmed ist vom 23.-25.10.21 im Rahmen des Spielart Festival in München zu sehen gewesen.