Kommentar

Rechter Kampfbegriff feiert Hochkonjunktur

/ / Bild: M94.5 / Simon Fischer

Das Unwort des Jahres 2023 steht fest: Remigration. Die Jury möchte den rechtsextremen Kampfbegriff anprangern – doch bewirkt genau das Gegenteil. Ein Kommentar von Manuel Boskamp.

“Remigration” – ein rechter Kampfbegriff feiert Hochkonjunktur. Eigentlich bezeichnet das Wort die freiwillige Rückkehr von Menschen mit Migrationsgeschichte in ihre ursprüngliche Heimat. Doch bei dubiosen Treffen deuten die neuen Rechten den Begriff um. Hier meinen sie damit massive, teils völkerrechtswidrige Abschiebungspläne. Eine Jury von Sprachwissenschaftler:innen gibt das Ziel vor, diese zu vereiteln. Indem sie den Begriff anprangern.

Mit der Wahl zum Unwort des Jahres wolle man die wahren Absichten der Rechten entschleiern, sagt Ruprecht Polenz als Gastjuror bei der Wahl zum Unwort des Jahres – und da wird das ganze Projekt schon unglaubhaft. Denn Polenz ist CDU-Politiker. Einige seiner Parteikolleg:innen verschieben den Diskurs in Deutschland gerade massiv nach rechts und die Werteunion hat sogar an dem sogenannten Remigrations Masterplan mitgetüftelt. Polenz ist zwar nicht der ultrakonservativen Werteunion zuzurechnen, gilt sogar als verhältnismäßig progressiv. Dennoch ist er Teil der Partei, die das Problem mit verursacht.

Jedes Dritte ist migrationsfeindlich

Fakt ist doch, dass bereits das erste Unwort des Jahres 1991 mit “ausländerfrei” Teil des Problems war. Seitdem ist rund jedes dritte Unwort migrationsfeindlich. Überfremdung, Pushback, Sozialtourismus, all diese Wörter haben die Debatte auch nach der Ernennung zum Unwort nicht verlassen, sind teilweise politischer Alltag geworden. Wenn das Ziel der alljährlichen Unwort-Kür also sein soll, die Menschen wachzurütteln, dann scheitert die Negativ-Auszeichnung krachend. Und diejenigen, die millionenfache Abschiebung befürworten, werden ihre Ideen nicht plötzlich zurückstellen, weil sie es zum Unwort gebracht haben. Wahrscheinlich können sie nur darüber lachen.

Keine Aufklärung auf der einen, keine Einsicht auf der anderen Seite und dazwischen eine Jury, die hilflos versucht, eine wildgewordene Debatte einzufangen.

Alljährliches Widerkäuen des Offensichtlichen?

Schon bevor AfD und CDU nun der menschenfeindlichen Massenabschiebung beschuldigt wurden, ließ sich Kanzler Olaf Scholz im Oktober vergangenen Jahres noch gewollt staatsmännisch im Spiegel abbilden. Zitat: “Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.” Kein Wunder also, dass Kritik aus der gesellschaftlichen Mitte an Kraft verliert, wenn aus demselben Lager ebenfalls Parolen kommen. Hier wäre eine ehrliche Selbstreflexion vielleicht angebracht und könnte der Debatte helfen.

Ein Problem zu benennen ist der erste Schritt. Dieser Schritt ist mit dem Unwort 1991 schon passiert. Wenn darauf keine Taten folgen, bleibt das Unwort ein alljährliches Wiederkäuen des Offensichtlichen.