Filmkritik

Past Lives – In einem anderen Leben

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Zwei Kindheitsfreund:innen treffen sich nach 24 Jahren wieder und schwelgen gemeinsam in bittersüßer Nostalgie. Ob Celine Songs in Sundance und bei der Berlinale gefeierter Past Lives mehr als nur romantischen Kitsch bietet?

Eine Stufe nach der anderen steigt die 12-Jährige Nayoung den Hügel auf dem Heimweg von der Schule hoch. Ihr dicht auf den Fersen ist Haesung, ihr bester Freund und Schwarm. Denn wo Nayoung ist, ist Haesung nicht weit weg – bis sie mit ihrer Familie nach Kanada umzieht. Doch Haesung trauert seiner Kindheitsfreundin hinterher und besucht sie viele Jahre später in New York, auch wenn ihre Leben mittlerweile anders nicht sein könnten. In Celine Songs Regiedebüt begleiten wir zwei alte Kindheitsbekanntschaften, dessen Wege sich mehrmals treffen und bei jedem Mal daran erinnert werden, was hätte sein können, wenn…

… etwa Nayoungs Eltern sich nicht nach dem amerikanischen Traum gesehnt hätten und von Südkorea nach Kanada ausgewandert wären. Wäre alles gleichgeblieben? Die kurzen, aber vielsagenden Blickkontakte, spielerische Rivalitäten und das gegenseitige Verständnis, das kaum Worte bedarf?

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Trailer zu Past Lives (2023)

Stille Augen, die mehr aussagen

24 Jahre nach ihrem letzten Treffen ist es endlich wieder soweit: Nora (Greta Lee) und Haesung (Teo Yeo) stehen sich endlich wieder gegenüber, hinter ihnen in Marmor gemeißelten Figuren: Die Bilder, die Past Lives erschafft sind nicht nur ästhetisch, sondern auch voll aufgeladen mit Bedeutung und Metaphorik. Dass Celine Song eine Theaterregisseurin ist, merkt man daran, wie gekonnt sie den Raum in den Einstellungen füllt und die Charaktere zueinander platziert. Der Dialog ist mit einer geschickten Leichtigkeit und Poetik geschrieben, die den Film die meiste Zeit aufwertet. Doch in Kombination mit den symbolisch aufgeladenen Einstellungen wirkt es teilweise etwas zu aufgesetzt, wobei ein kleines bisschen mehr Subtilität nicht geschadet hätte.

Subtilität, die sich aber dafür in der schauspielerischen Leistung von den Darsteller:innen Greta Lee, Teo Yeo und John Magaro wiederfindet. Vor allem Lee kauft man ihre erste Hauptrolle als feinfühlige Schriftstellerin Nora sofort ab – überraschend dafür, dass sie davor eher für ihre Nebenrolle in der Netflix Dramedy-Serie Russian Doll bekannt war.

Past Lives lässt sich Zeit

Über die drei Zeitebenen hinweg, behandelt die Regisseurin und Drehbuchautorin vielschichtig menschliche Gefühle wie Nostalgie und Themen, die normalerweise unterdrückt werden – und das auf eine sensible Art: Durch subtile Körpersprache, vielsagende Blicke und poetische Dialoge sickern die Gefühle durch die Leinwand zu uns in den Zuschauer:innenraum durch.

Song lässt den Film und die Charaktere in 104 Minuten genug Raum zur Entfaltung, aber gerade wegen des eher langsameren Tempos des Films, zieht es sich ein wenig zwischen dem zweiten und dem entscheidenden dritten Akt.

Endlich wieder vereint! Haesung und Nora/Copyright: A24

In Yun – koreanische Flirttechnik oder doch Schicksal?

In der koreanischen Kultur als auch für den Film ist dabei das Konzept von In Yun von entscheidender Relevanz. Dieses kann als eine Art schicksalhafter Fügung zweier Menschen beschrieben werden. Dabei reicht es schon, wenn sich ihre Schultern zufällig streifen, dass sie eine Schicht, also In Yun, in diesem Leben bilden und man sich im nächsten wieder trifft. 80.000 Schichten In Yun müssen sich in den vergangenen Leben gebildet haben, wenn sich zwei Menschen lieben und heiraten sollen.

Celine Song nimmt dieses romantische Konzept und beleuchtet zeitgleich auch die bittersüße Seite davon. Was ist, wenn zwei Menschen in diesem Leben nicht füreinander bestimmt sind? In Yun spendet Trost und Hoffnung für das nächste Leben, aber wie geht man damit im jetzigen Leben um?

“Wenn du Seoul nie verlassen hättest, hätte ich trotzdem nach dir gesucht? Wären wir zusammen gekommen? Hätten Schluss gemacht? Wären verheiratet? Hätten wir Kinder bekommen?

Haesung zu Nora

Feinfühlig und menschlich verarbeitet Song Gefühle von Nostalgie, Zuneigung und Trauer. In Past Lives wird aber nicht um etwas getrauert was einmal war, sondern um etwas, dass nie richtig gewesen ist, um etwas, das hätte sein können. Wir fragen uns, kann man um etwas trauern, was nie gewesen ist? Ist In Yun, die Art damit, um zu gehen?

Ob Nora mit Haesung auch ihr In Yun finden wird?/Copyright: A24

Bis zum nächsten Leben! oder See you in the next life!

Es ist nicht Reue, die im Vordergrund von Past Lives steht, wie man von der Prämisse, eines „gescheiterten“ Liebesdrama erwarten würde, sondern eher ein Festhalten in der Vergangenheit – ein nicht loslassen können. Besonders Haesungs Figur scheint sich noch an die alte Nayoung zu klammern. Auch Nora kämpft gegen ein Gefühl der Verfremdung an. Ein Gefühl, dass Greta Lee, als Tochter zweier koreanischen Migrant:innen in den USA und Teo Yeo, als in Deutschland geboren und aufgewachsener Koreaner kennen und in ihre jeweiligen Rollen einfließen lassen.

Der Film spiegelt die Erfahrung und Gefühle von vielen Migrat:innen authentisch wieder und spricht ihnen aus der Seele. Sie bereuen ihre Migration nicht, durch die sie auch vieles bekommen haben, aber sie stellen sich trotzdem zögerlich vor, wie das Leben wäre, dass sie zurückgelassen haben, verlaufen sein könnte.

Für alle hoffnungslose Romantiker:innen fühlt sich Past Lives wie ein Stich ins Herz an, dessen Schmerz auch noch nach dem Kinobesuch zum Schwelgen in den eigenen Gedanken und Vergangenheit anregt und einen mit Herzschmerz und einer Taschentuchpackung weniger zurücklässt.

Past Lives läuft ab dem 17. August 2023 in allen deutschen Kinos.