Kommentar

Negativ-Werbung mit Traumata

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Schockbilder auf Tabakwaren wirken stigmatisierend und retraumatisierend auf akut oder ehemals an Krebs erkrankte Personen und deren Angehörige, findet Marlene Kagerbauer. Ein Kommentar.

Schriftliche Warnhinweise und Schockbilder müssen in Deutschland seit 2016 laut EU-Richtlinie auf die Verpackung von Tabakerzeugnissen gedruckt werden. Als Krebsüberlebende und Tochter einer an Krebs erkrankten Person fühle ich mich jedes mal getriggert, wenn ich an einer Supermarktkasse Schockbilder auf Tabakwaren sehen muss. Meine Lebensrealität sollte nicht als Worst-Case-Szenario dargestellt und genutzt werden, um andere Menschen abzuschrecken.

Betroffene als leere Projektionsfläche für Mitleid und Ekel

43 Prozent der Frauen und 51 Prozent der Männer sind laut dem RKI in Deutschland im Laufe ihres Lebens von Krebs betroffen. Jede dieser Personen bekommt neben den direkten Auswirkungen von Krankheit und Behandlung auch das Stigma rund um Krebs zu spüren. Wenn Unterstützung hilfreich wäre, werden sie von ihrem Umfeld oft plötzlich ausweichend wie schwache Opfer einer Tragödie behandelt. Genau diese Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen fördern Schockbilder, auf denen blasse Menschen ohne Haare mit tiefen Augenringen und leerem Blick in die Kamera schauen oder offene Tumoren abstoßen sollen. Sie stigmatisieren Erkrankte zu etwas, was sie genau jetzt auf keinen Fall sein wollen. Sie wirken entmenschlichend, nutzen Betroffene als leere Projektionsfläche für Mitleid und Ekel.

Keine Schuld in der Gen-Lotterie

Die Aufschrift “Rauchen ist tödlich” in Kombination mit einem Bild von einem Tumor wirkt, als wäre eine Krebserkrankung klar kausal auf Tabakkonsum zurückzuführen und schreibt Erkrankten eine Eigenverantwortung an ihrem Schicksal zu. Dabei ist in der Ursachenforschung noch vieles unklar.

Krebs kann entstehen, wenn sich Zellen – meist an Schäden am Erbgut – unkontrolliert vermehren. Solche Erbgutschäden können begünstigt werden durch Tabak- und Alkoholkonsum, ungünstige Ernährung, Bewegungsmangel, übermäßige Einwirkung von UV-Strahlen, bestimmte Infektionskrankheiten, genetische und weitere Faktoren. Manche davon sind nicht zu beeinflussen. Andere sind je nach sozioökonomischem Status oder auch der Neigung zu Suchtkrankheiten mehr oder weniger vermeidbar. In jedem Fall rät die Psychoonkologie Betroffenen zuallererst, keine Schuld an der Krankheit bei sich zu suchen. Ich finde, Tabakaufdrucke dürfen das nicht fördern.

Wo ist meine Trigger Warnung?

Online wird immer häufiger auf Trigger Warnungen für sensible Inhalte geachtet. Aber Krebsbetroffene werden ungefragt in jedem Supermarkt, jeder Bar und jeder Mittagspause durch Schockbilder mit potentiell traumatischen Erlebnissen konfrontiert.

Während eine Chemo- oder Strahlentherapie bereits das Risiko für eine erneute Erkrankung erhöhen, zeigen auch vermehrt Studien einen Zusammenhang zwischen negativem Stress, Entzündungsrisiko und damit Entstehung von Krebszellen auf. Vor diesem Hintergrund möchte ich erst Recht nicht, egal wo ich hingehe, ständig aus dem Nichts diese Schwere wieder fühlen, die vergangenes Erlebtes und daraus folgende Zukunftsrisiken in mein Leben gebracht haben. Solange Negativ-Werbung mit Traumata gemacht wird, kann ich dem aber nicht entkommen.