radikal jung 2019

Medusa Bionic Rise

/ / Bild: Nyssos Vasilopoulos

Das Theaterfestival „Radikal Jung“ am Volktheater lädt jedes Jahr junge TheaterregisseurInnen mit ihren innovativen Inszenierungen nach München ein. Die Theatergruppe THE AGENCY führt in ihrem Stück „Medusa Bionic Rise“ die immersive Kraft des heutigen Fitness- und Selbstoptimierungswahns vor Augen. 

Als sich die Tür im 4. Stock des neuen Zwischennutzungsgebäudes in Laim Z Common Ground öffnet, zeigt sich ein weißer, moderner Raum in hellem, fast kaltem Licht: ein bisschen wie ein Fitnessstudio. Eine Dame begrüßt einen, man bekommt ein rotes Mitgliederband um den Hals gehängt, schaut sich um und wird direkt von der intensiven Atmosphäre von „Medusa Bionic Rise“ eingesaugt. Im Raum verteilt rackern sich die die Mitglieder des Clubs – die auf englisch abgekürzten MBRs – in kurzen, etwas futuristisch anmutenden Sportklamotten an verschiedenen Kraftübungen ab. Soweit ist die Szenerie doch den meisten vertraut. 

„fat, carbs, protein, sweat…“

Wäre da nicht das subtil Pathologische, das Zwanghafte und Stereotype, das den Bewegungen und Blicken der Darsteller zu entnehmen ist. In wiederkehrenden, automatenhaften Bewegungen werden Situps und Kniebeugen gemacht, Gewichte gestemmt, mit Fäusten und Füßen Styroporwände eingeschlagen, und Fitness-Seile geschwungen. Im Rhythmus mit den keuchenden Bewegungen dröhnen die Sprechchöre der MBRs wie „fat, carbs, protein, sweat…..“  immer lauter und intensiver in den Ohren. Eine Stimme aus dem Lautsprecher unterbricht in regelmäßigen Abständen die Szene und läutet einen neuen Modus ein. Alles ist durchgetaktet: training, character mode, reset, convert, emotional training, analysis, character mode. Während man sich umsieht, wird man auch schon von einem der MBRs angesprochen. Freundlich wird sich erkundigt, wie man sein eigenes Fitness-Level einschätzt und ob es das erste Mal ist, dass man hier ist. An der Bar gibt es neben Protein-Shakes und Pillen den wohl neuesten Trend: Flüssignahrung aus von der Decke herabhängenden Infusionsbeuteln. 

Macht Selbstoptimierung wirklich frei?

Die Atmosphäre von „Medusa Bionic Rise“ ist unangenehm und vertraut zugleich – das macht auch die Stärke der Inszenierung aus. Dem ein oder anderen, der vielleicht selbst auch eine Fitness-App auf dem Handy hat, regelmäßig zum Yoga rennt oder seinen Körper mit Bodyweight-Training zu stählen versucht, wird anhand der exzessiven Performance vor Augen geführt, das der eigene Versuch der Selbstoptimierung nicht unbedingt ein Akt der Selbstermächtigung ist. Er ist gesellschaftlich und gemeinschaftlich kodiert . „Enhancement is free!!!“ prankt an der Wand des Studios: Verbesserung ist frei – stimmt, aber macht uns Selbstoptimierung auch frei? 

Voyeurismus und Reflexion

Dieser Frage geht die Inszenierung von THE AGENCY – bestehend aus dem Vierergespann von Yana Thönnes (Regie), Magdalena Emmerig (Kostüm), Rahel Spöhrer (Dramaturgie) und Belle Santos (Bühne) – auf kluge Art und Weise nach. Hier zeigt keiner mit dem Finger auf den anderen! Höchstens die MBRs selbst, denn sie sind Teil einer post-digitalen Untergrundbewegung, die sich mit Hilfe modernster Forschungs- und Wirtschaftsergebnisse sowohl mental als auch physisch selbstoptimieren wollen. Schnell wird klar, dass es sich hierbei um die Radikalisierung bzw. Perversion bereits heute bestehender Ideen handelt. Die Entwicklung einer neuen, implantierbaren Haut; Gehirn-Implantate oder Prothesen, die dazu verhelfen, wie eine der verehrten Mangafiguren auszusehen. 

„Medusa Bionic Rise“ ist gelungen immersiv, es lebt von seinem voyeuristischen Charakter. Der Zuschauer kann sich selbst ein Bild machen. Dieses Bild amüsiert, schockt und bedrückt zugleich. Leere und Exzess gehen dabei Hand in Hand wie der Schein optischer Perfektion und die eigentliche Schönheit nackter Tatsachen!

Medusa Bionic Rise ist im Rahmen des Regiefestivals radikal jung im Volkstheater zu sehen.