Bild: Ray Demski

Dance 2019

Draw a line: Richard Siegals Ballet of Difference

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Die Premiere von Benedikt Mirows Dokumentarfilm „Draw a line“ über Richard Siegals Ballet of Difference stellte am Samstag quasi ein Hybrid des zur Zeit stattfindenden Dok.Fest und dem Dance Festival in München dar. Entstanden ist ein großartiger Film über ein großartiges Ballett-Ensemble.

Der in München ansässige Amerikaner Richard Siegal ist wohl momentan einer der spannendsten Tanzchoreographen überhaupt. „BOD stands for Ballet of difference“: Siegal versucht mit seinem Zugang dem zeitgenössischen Tanz ein neues und modernes Gesicht zu geben, ohne aber die klassische Technik zu verschmähen. Dieser Zwiespalt zwischen alt und neu, begleitet ihn schon seit den Anfängen seiner Tanzkarriere in New York. In seinen 20ern war die Tanzszene dort gespalten in eine „Uptown“-Tanzszene mit den kommerziellen großen Ballett-Häusern, und in eine „Downtown“-Szene, in der in postmoderner Manier Neues ausprobiert wurde. „My project, as a dancer, was to somehow bridge those two worlds.“ (Siegal)

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Die Kunst in der Kunst

Seither sind Siegals Produktionen auf vielen großen Bühnen zu sehen. Auch wenn sie die dort vorherrschenden Strukturen durchaus herausfordern: So wusste sich das Bayerische Staatsballett bei den Videoaufnahmen von Siegals ungemein schnellem und dynamischem Stück UNITXT (2013) nicht ganz zu helfen und holte deswegen den Dokumentarfilmer Benedikt Mirow zur Hilfe. Damals entstand eine enge Zusammenarbeit zwischen Choreograph und Filmemacher, die jetzt in Mirows Dokumentarfilm „Draw a line“ über über das BOD mündete. „Draw a line“ handelt von der Genese der Produktion „On Body“, das aus drei Teilstücken – BOD, Made for Walking und UNITXT – besteht und 2018 am Schauspiel Köln gezeigt wurde. Und der Film wird in seiner Darstellung dem Mammut-Projekt von Siegal absolut gerecht.

Spitzenschuhe und Afro-Moves

Die Teilstücke sind hochmoderne Synthesen aus Musik, Kostümdesign und Bühnenlicht. Inspiration für seine Choreographien findet Siegal in den sozialen Medien, aktuellen Trends und der Begegnung mit anderen Tanzkulturen und -traditionen. Die Stücke BOD und UNITXT sind aus der – vom Goethe Institut unterstützten – Zusammenarbeit mit westafrikanischen Afrodancern in Lagos, Nigeria, entstanden. So treffen Spitzenschuhe auf Afro-Moves. Mirows Film dokumentiert auf angenehm zurückhaltende Weise die Begegnung zwischen europäischer und afrikanischer Tanzkultur. „I moved my hips a lot“ berichtet Siegals Tänzerin Claudia Ortiz Arraiza, was ihr im klassischen Unterricht stets die Ermahnung „no Claudia, don’t stick your bum out“ einbrachte. Jetzt geht es genau darum, die einzigartigen Hüftbewegungen des nigerianischen Afro-Dance zu erlernen.

So kann zeitgenössisches Ballett aussehen

Richard Siegals Ensemble ist international und völlig unabhängig von kulturellem Background, sexueller Orientierung oder Genotypen ausgewählt. Es setzt sich aus jungen aufsteigenden Tänzern und älteren Profis, die große Karrieren hinter sich haben, zusammen. Vor allem aber tritt Siegal für ein professionelles Tanztheater jenseits von klassischen und längst überholten Körperstereotypen ein. Allen Tänzern gemein ist ein exzellentes technisches Niveau, das sie befähigt, die klassischen Genregrenzen zu überwinden und immer wieder neue Herausforderungen anzunehmen. Das BOD bietet ihnen  eine Möglichkeit, aus der Konformität des klassischen Balletts auszutreten und ihre individuelle Ausdruckskraft zu erkunden: „All you have to do is draw a line and most artists are gonna want to step over that,“ sagt Richard Siegal mit seiner ungemein einnehmenden und poetischen Art, über seine Arbeit und Tanz im Allgemeinen zu sprechen. Vielleicht ist gerade diese auch der Grund dafür, dass seine Tänzer bereit sind, über ihrer eigenen Grenzen in das Ungewisse zu treten und mit harter Arbeit unter nicht geringem Druck ein außerordentliches tänzerisches Endresultat zu erzeugen. Dieses wiederum illustriert Benedikt Mirows Film aus mehreren Perspektiven und wird somit auch dem modernen Bühnencharakter der BOD-Produktionen gerecht.

Das „Ballett of Difference“ wird als Tanzform und Gesamtkunstwerk unsere heutigen Zeit weit gerechter als die klassische Balletttradition: divers und spannungsreich, brillant und menschlich.

Das BOD in München

Wer sich das BOD live ansehen möchte, hat am 24. und 25. Mai in der Muffathalle dazu die Chance. Am 25. Mai wird außerdem ein kleiner Auszug für zwei Tänzer „Walking Two Walking“ an drei Zeiten im Museum Brandhorst gezeigt. „Draw a line“ wird ab August auf Arte und im BR ausgestrahlt. Mein Tipp – einfach nicht verpassen!