Dance 2019

Delta

/ / Bild: Dieter Hartwig

Im Süden Münchens, bei Garching, liegt das Dorf Moosach. Durch enge Landstraßen im Wald hindurch bis hin zum äußersten Ende des Dorfes führt ein Weg. Hier am Rande eines Feldes liegt das Metatheater. Wieso man sich die 40 km aus München hinaus begibt für einen Abend? Tanz. Hier probt nämlich das Ensemble des Tanzstücks „Delta“ aus China vor ihrer Premiere auf dem Dance Festival.

Der kleine Raum ist eingerichtet wie ein Kinderzimmer. Vorne stehen drei grelle gelbe und grüne Spielzeugpulte, ein Sack bunter Plastikbälle liegt herum. Die neun PerformerInnen sitzen regungslos  im hinteren Teil des Raumes auf kleinen roten Plastikhockern, auf Schaukelpferdchen und auf dem Boden. Ein junger Mann im Basketballtrikot erhebt sich und fängt an zu tanzen, dann wendet er sich an das Publikum: Sie sollen die Augen schließen und er nimmt sie mit nach Delta. 

Auf einer Reise durch das Perlflussdelta

Im Perlflussdelta in China treffen mehrere Metropolregionen aufeinander: Macau, das „Las Vegas“ von China eine ehemals portugiesische Kolonie, Hongkong, ehemals unter britischer Regierung und die chinesische Stadt Guangzhou. Drei Megacities mit unterschiedlichen Hintergründen, Geschichten und sozialen Realitäten erforscht der junge chinesische Choreograph Yang Zhen in seiner Performance. Die TänzerInnen stammen alle aus der Region, sind Professionelle und Amateure, alt und jung. Jeder von ihnen lässt eigene Erzählungen, Lebensgeschichten und Träume mit in das Stück einfließen.

„Dreaming is free“

Wenn manche PerformerInnen sich auf der Bühne bewegen, teilweise rhytmisch und fließend, teilweise abgehackt und wie in Zeitlupe, stehen andere vorne und reden zum Publikum. Disziplinierte Diskussionen über Hongkongs Politik  vorne  stehen im starken Kontrast zu aufgelösten , fast wahnsinnigen Tanz im Rotlicht dahinter. Ordnung trifft auf Chaos. In Delta stellen sich die PerformerInnen die Frage nach ihrer Identität: Wer sind sie und wo gehören sie hin? Sie reden auch über Freiheit und  Träume. 2013 hat die Regierung in China einen gemeinsamen chinesischen Traum in die Gesellschaft implementiert. Es geht um Zusammenhalt, die Ideale der Nation und der chinesischen Regierung, erklärt Yang Zhen  am Ende auf der Bühne. Er fragt aber auch: „ Ist es nicht schrecklich wenn eine Milliarde Menschen den gleichen Traum haben müssen?“

Das Publikum als Teil des Stückes

Immer wieder wenden sich die PerformerInnen an das Publikum. Eine Performerin erzählt von ihren ersten Eindrücken in Deutschland, ein anderer animiert das Publikum zum mitsingen und mittanzen, ein weiterer lässt das Publikum abstimmen. Gegen Ende kommen sie sogar direkt zum Publikum und fangen individuelle Gespräche über das Stück, über China und Deutschland, über Träume an. 

Yang Zhen hat mit Delta ein Performance geschaffen die eindrücklich und kritisch zum Nachdenken anregt, über Werte, Freiheiten und Ideale in Deutschland und China. Im Epilog stellt jeder der PerformerInnen seinen/ihren eigenen Traum vor. Denn jeder sollte auch träumen dürfen, nur für sich.