M94.5 Kulturkritik

Faust der Cloud-Rapper

/ / Bild: © Julian Baumann

Die Geschichte des wohl bekanntesten Gelehrten in nur einer Stunde auf die Bühne bringen und ihn zum kleinen Hipster Hip Hopper mutieren lassen? Unmöglich? Nein, dachte sich Regisseurin Leonie Böhm und hat mit Yung Faust wohl die fresheste Version von Goethes Tragödie Faust auf die Bühne der Kammerspiele gebracht.

Benjamin Radjaipour und Annette Paulmann / Bild: ©Julian Baumann

Pinkes Licht erfüllt die Bühne der Kammer 2. Der Beat setzt ein. Schauspieler Benjamin Radjaipour steht in einer weißen Culotte, die den Stoff einer Bettdecke hat, in weißer Jacke und in weißen Sneakern am Bühnenrand. Er greift nach einem Mikro und fängt an zu singen. Was heißt singen, Benjamin Radjaipour rappt! „Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein“. Elektrobeats à la Yung Hurn mischen sich unter die Synthesizermelodien, die Musiker Johannes Rieder live am Bühnenrand zum Besten gibt. Mit einer langen Perücke aus braunen Haaren, lässigem Pony und im stylischen Jeansoutfit, haut er in die Tasten und übernimmt den Part des Backgroundsängers, des Schlagezeugers, des Chores…alles was gerade so gebraucht wird, für Leonie Böhms Inszenierung von Faust. Die mal eben so, den emotionalen Monolog von Fausts Osterspaziergang in eine Cloud-Rap Performance umgewandelt hat. 

Urban Culture in der Kammer 2

Regisseurin Leonie Böhm wagt mit ihrer Inszenierung Yung Faust etwas Neues, etwas Ungewöhnliches. Der oft inszenierte Stoff von Johann Wolfgang von Goethe wird radikal gekürzt, die Figuren Faust, Gretchen und Mephisto springen im fliegenden Wechsel zwischen den Schauspielern Julia Riedler, Annette Paulmann und Benjamin Radjaipour hin und her und die Szenerie wird konsequent verjüngt. Das Bühnenbild, ein paar weiße Pappaufsteller in geometrischen Formen, eine Leinwand mit umgedrehten Palmenblättern im Hintergrund und ein ovaler Springbrunngen in der Mitte des Raumes, erinnert an die moderne und hippe Einrichtung des Lovelace Hotels. Die magentafarbenden und blauen Lichter sorgen für eine leichte Techno-Atmosphäre, die man sonst aus Videos von Cloud-Rappern wie Yung Hurn oder LGoony kennt. Annette Paulmann wird in schwarze Jogginghose und Bomberjacke gesteckt, Julia Riedlier in ein einfaches Shirt, lässige grüne Hose und coole Sneaker. Alles ist hip, alles ist jung und alles ist Emotion.

Julia Riedler / Bild: ©Julian Baumann

Wenn, dann richtig!

Böhms 2019 Faust gibt alles. Alles an Emotionen. Und das wird ganz schön exzessiv. Wild knutschend und inklusive kleiner Peepshow, kugeln sich Benjamin Radjaipour und Annette Paulmann im Springbrunnen, wenn es um die Walpurgisnacht geht. Hingebungsvoll befriedigt Julia Riedler als Gretchen Annette Paulmann, wenn das junge Mädchen Faust verzweifelt die Liebe gesteht, voller Inbrunst skkrt und flyt sich Benjamin Radjaipour als Mephisto durch den Raum, voller Kummer singen Johannes Rieder und Julia Riedler Gretchens “Meine Ruh ist hin, mein Herz ist schwer”. Neben all der witzigen Momente, den Lachern wegen der Songs, oder den völlig außer Rand und Band geratenen Schauspielern, schafft Regisseurin Leonie Böhm Fausts Emotionen, seine Gedanken aufzufangen und das Bild der zweifelnden Figuren in die heutige Zeit zu transportieren.