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Wahlkampf im Netz

Twitter statt Bierzelt

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Regulieren können Parteien ihre Politikerinnen und Politiker auf Social Media schon lange nicht mehr. Im Namen der Partei können so auch kontroverse Meinungen auf Twitter, Instagram und Co veröffentlicht werden. Fluch oder doch eher Segen für die Parteien?

30 Sekunden. So lange, meinte Benedikt Brechtken kürzlich im SPIEGEL, denke er durchschnittlich nach, bevor er einen Tweet verschicke. Vor allem in den letzten Wochen provozierte der junge FDP-Politiker mit seinen teils kontroversen, teils überspitzten Tweets mehrere tausend – vor allem linksliberale – Personen. Der 22-Jährige schafft somit das, was der FDP zur Zeit eher fehlt: Aufmerksamkeit. Aber gefällt der Partei das überhaupt? Und inwiefern können Politiker:innen, die oft noch nicht mal ein Amt innehaben, so Einfluss auf die Bundestagswahl nehmen, die dieses Jahr im September stattfinden wird?

Die wachsende Bedeutung

Sowohl politische Reden in Versammlungshallen als auch der typische “Bierzelt-Wahlkampf” ist dieses Jahr wohl eher bedingt möglich. Auch deshalb verschiebt sich das Werben um Stimmen für die Bundestagswahl ins Netz. Wer dort als Partei keinen guten Auftritt hat, erreicht vor allem junge Menschen kaum. Laut napoleoncat.com gab es im Januar 2021 rund 28 Millionen Instagram-Nutzer:innen in Deutschland – über die Hälfte davon sind zwischen 18 und 34 Jahre alt. Gerade junge Wählerinnen und Wähler – möglicherweise auch Erstwähler:innen – können auf der Plattform also relativ schnell und einfach erreicht werden. Und auch auf Twitter steigt der Trend: circa 1,4 Millionen Personen nutzten in Deutschland im vergangenen Jahr laut dem Digital 2020 Report monatlich Twitter. 

AfD und Grüne obenauf

Laut Dr. Jörg Haßler, Sprecher der Fachgruppe Kommunikation und Politik der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, sind vor allem zwei Parteien erfolgreich im Netz, die unterschiedlicher kaum sein könnten: die Grünen und die AfD. Den Unterschied merkt man besonders in der Methodik der beiden Parteien:

“Die Grünen setzen da voll auf Jugendlichkeit und Authentizität. Da ist es so, dass viele Wahlkreis-Kandidierende der Grünen sich ganz authentisch bewegen können, weil sie mit den Medien aufgewachsen sind, sie jünger sind und da wirkt das ganz ungezwungen wie sie über Social Media kommunizieren können”, erklärt Haßler die Strategie der Grünen.

Währenddessen versuche die AfD laut ihm vor allem eine “alternative Öffentlichkeit” über Social Media zu schaffen. “Da ist dieses Gefühl von den Medien ungerecht behandelt zu werden und deswegen in Social Media den Wahlkampf zu machen.” Genutzt werden dabei zum Beispiel Kampagnen auf YouTube, in denen politische Gegner:innen gezielt heruntergevoted werden und eigene Beiträge sehr stark verbreitet und geteilt werden.

Dr. Jörg Haßler arbeitet am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung an der LMU / Bild: privat

Der Verlierer

Posten kann dabei jede und jeder seine oder ihre eigene Meinung – auch wenn es im Namen der Partei gepostet wird, für die man beispielsweise kandidiert. Für Nutzer:innen ist es also schwer, unterscheiden zu können, was online im Namen der Partei geschieht und was eine eigene, persönliche Meinung ist. Das kann schnell schief gehen. Ein Beispiel dafür ist der LINKEN-Politiker Tom Radtke, der in einem Tweet 2020 zum Holocaustgedenktag am 27. Januar den Klimawandel mit dem Holocaust verglich. In dem Fall reagierte die LINKE schnell und setzte ein Partei-Ausschlussverfahren in Gange. Radtke blieb zwar Kandidat, wurde in der Bürgerschaftswahl für Hamburg aber nicht gewählt.

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Und auch der FDP-Politiker Benedikt Brechtken, dem auf Twitter mittlerweile über 17.000 Personen folgen, twittert fröhlich seine eigenen, durchaus provokanten Meinungen in die Welt. Vor allem nach der Entscheidung der Grünen, Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin aufzustellen, sorgte er mit seinen Äußerungen für viel Unmut im Netz.

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Reichweite im Netz

Jörg Haßler, der das Projekt “Digital Democratic Mobilization in Hybrid Media Systems” an der LMU leitet, sieht darin aber kein zu großes Problem. Gerade auf Twitter wirke es so, als erreichten Tweets viel mehr Menschen als sie es eigentlich tun. Vergleiche man das dann mit den Auftritten von hochrangigen Politiker:innen im Fernsehen oder in Zeitungsinterviews, seien solche Meinungsäußerungen eher Nebensache. Die breite Masse werde immer noch durch klassische Medien und deren Internetauftritten erreicht.

Außerdem wird mit solchen Tweets die Authentizität der Politiker:innen gewährleistet und gezeigt. Die kann sich wieder positiv auf die Parteien auswirken. “Für diese Authentizität, für die Geschwindigkeit, die man in Social Media braucht sind kurze Entscheidungswege notwendig”, sagt Jörg Haßler. “Wenn das alles nur von der Marketing- und Werbeagentur abgesegnet ist und feingeschliffene PR-Botschaften dominieren, wird man da nicht auf die Reichweite kommen, die einem Nutzen bringt.” Deshalb müssten die Parteien das Risiko eingehen, dass auch mal ein Politiker oder eine Politikerin daneben langt oder über die Stränge schlägt. Eine Regulierung der Social-Media-Aktivitäten durch die Parteien solle es und werde es laut ihm gerade deshalb nicht geben.

Wahlkampf im Superwahljahr

Interessant wird sein, wie dann aber der finale Bundestagswahlkampf 2021 aussehen wird. Laut Jörg Haßler spielen sowohl Personalisierung als auch der persönliche Kontakt zu den Menschen weiterhin eine große Rolle. Das alleine mit Social Media herzustellen sei schwierig. Eine Möglichkeit sieht Haßler im sogenannten Haustür-Wahlkampf. Während vor der Ära der Digitalisierung alleine die Überzeugungsworte auf der Straße und an den Haustüren der Bürgerinnen und Bürger möglich waren, kann man nun zum Beispiel Fotos der Gespräche machen und auf Social Media teilen. Damit schafft man eine noch größere Reichweite. Reichweite, die am Ende wieder Aufmerksamkeit bedeutet – auch für die Parteien.