Häusliche Gewalt in Zeiten von Corona

Kein Entkommen

/ / Bild: M94.5 / Joely Krabel

Triggerwarnung: In diesem Artikel geht es um häusliche Gewalt. Wenn es euch mit solchen Themen nicht gut geht, solltet ihr den Artikel besser nicht lesen! Hilfe bekommt ihr zum Beispiel beim “Hilfetelefon für Frauen” (Telefon: 08000 116 016 ).

#staythefuckhome heißt es aktuell von allen Seiten. Für viele Frauen ist das eigene Zuhause jedoch kein sicherer Ort. Genau das stellt jetzt sowohl Betroffene von häuslicher Gewalt als auch die zuständigen Hilfsorganisationen vor große Herausforderungen.

Jede dritte Frau in Deutschland ist laut dem Bundesministerium für Familien von physischer oder sexueller Gewalt durch den aktuellen oder einen früheren Beziehungspartner betroffen. In Peking haben sich laut BBC bei einer Frauenrechtsorganisation die Berichte über Fälle von häuslicher Gewalt seit Beginn der Quarantäne verdreifacht. Viele befürchten jetzt, dass sich die Ausgangssperre auch in Deutschland entsprechend auswirkt. Das glaubt auch Corinne Charvet, die als Paartherapeutin in München arbeitet:

“Es ist im Moment noch ruhig, allerdings rechne ich damit, dass es sich ändert, eben aufgrund dieser Herausforderungen, die dieses Erliegen vom Leben mit sich bringt.”

Corinne Charvet im M94.5-Interview
Corinne Charvet / Foto: Corinne Charvet

Paare werden es wegen der Ausgangssperre nicht leicht haben, sich aus dem Weg zu gehen, sagt Charvet. Das kann schwerwiegende Konsequenzen haben, vor allem für Frauen, die sich in einer toxischen und möglicherweise gefährlichen Beziehung befinden. Das sagt auch Lydia Dietrich, Geschäftsführerin der Frauenhilfe München:

“Das ist ein ganz ganz großes Problem momentan, weil der Gewalttäter ja mit in der Wohnung ist und man auch oft nicht weiß: Kann die Frau überhaupt raus? Hat sie ein Handy? Geht das?”

Lydia Dietrich im M94.5-Interview
Lydia Dietrich / Foto: Stephan Rumpf

Eine ungewollte Konfrontation mit sich selbst

Paartherapeutin Corinne Charvet hat eine eigene Theorie, wie genau die Isolation in Zeiten von Corona aggressives Verhalten in toxischen Beziehungen verstärken kann:

“Nachdem wir bislang sehr viel so gelebt haben, dass wir alles Mögliche außen gesucht haben, also ‘ich gehe ins Sportstudio, ich treffe mich mit Freundinnen und Freunden, ich reise für ein Wochenende nach Südtirol oder besuche Verwandtschaft’, das alles fällt weg. Und das heißt, es ist eine Stresssituation da, so ein bisschen wie in einem Gefängnis sein, ich bin mit mir selber konfrontiert.”

Corinne Charvet im M94.5-Interview

Konkret heißt das: In einer Beziehung können bisher erfolgreich vermiedene Konflikte und Probleme plötzlich hochkochen und zu Auseinandersetzungen führen. Doch durch die Ausgangsbeschränkung können viele Frauen dieser Situation nicht entfliehen.

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Zu wenig Schutz in der Krise

Auch Isabella, ihren Namen haben wir geändert, hat häusliche Gewalt erfahren. Sie war jahrelang der Gewalt ihres Ex-Partners ausgesetzt.

„Es ging sehr unterschwellig los mit Kommentaren zu meinem Körper. Das war nach der Geburt unseres zweiten Kindes. Ich sei zu fett. Dann irgendwann hat er zugeschlagen.“

Isabella im M94.5-Interview

Maßnahmen gegen ihren Ex-Partner hat sie erst ergriffen, als er gewalttätig gegenüber ihrem Sohn wurde. Rückblickend sagt Isabella, dass sie sich damals gewünscht hätte, von Angehörigen und Bekannten auf ihre gewalttätige Beziehung angesprochen zu werden.

„Irgendwann schleicht sich das in die Beziehung ein und plötzlich ist das für das ganze Umfeld Normalität.“

Isabella im M94.5 Interview

Heute wohnt Isabella in einer anderen Stadt, gegen ihren Ex-Mann hat sie Anzeige erstattet. Trotzdem sucht sie sich noch Hilfe in Internetforen und kann sich dort mit anderen betroffenen Frauen austauschen. Gleichzeitig versucht sie, auch selbst so gut es geht Unterstützung anzubieten.
Doch Internetforen sind nicht jeder Betroffenen zugänglich, besonders, wenn das Problem noch akut ist und in unmittelbarer Nähe zum Partner.

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Isabella kann aus eigener Erfahrung sagen, dass Schutz und Beistand das Wichtigste sind. Doch beides kommt in der Corona-Krise momentan zu kurz. Deswegen, sagt Lydia Dietrich von der Frauenhilfe München, ist es wichtig, aufmerksam zu sein.

“Nicht wegschauen, sondern hinschauen, wenn man in der Nachbarschaft oder wo auch immer mitkriegt, da gibt es eine schwierige Situation oder da könnte eine Gefahrensituation sein, wo eine Frau von Gewalt betroffen ist, dann zu der Frau gehen, wenn es möglich ist Kontakt aufnehmen, Hilfe anbieten und im Ernstfall auch die Polizei rufen.”

Lydia Dietrich

Wenn ihr selbst von häuslicher Gewalt betroffen seid oder jemanden kennt, der vielleicht betroffen ist: Das “Hilfetelefon für Frauen” ist 24h erreichbar: 08000 116 016. Der Anruf ist kostenlos, anonym und streng vertraulich.