Kommentar

Über die Unverbindlichkeit des Seins

/ / Bild: M94.5/Michael Goder

Mitte Dezember und die Situation wird langsam dringlich, die alles entscheidende Frage rückt bedrohlich näher: Silvester – Wo, wie und mit wem wollen wir dieses Mal die wertvollen Stunden um den Jahreswechsel herum verbringen? Die Zeit läuft, das Angebot ist groß, die Entscheidung rückt unerbittlich näher – Warum treffen wir sie nicht einfach?

„Vielleicht“ lautet die Devise für den Start ins Jahr 2020. – ein Kommentar von Janina Herberger

Generation Maybe

Na endlich, ein neuer Generationenbegriff! Die Rede ist jetzt von „Generation Maybe“, der Gruppe von 20 bis 30-jährigen, sozialisiert im digitalen Zeitalter. Immer verfügbar, immer online, überschüttet mit Eindrücken von Veranstaltungen, auf denen sie nicht war. Das Gefühl, etwas verpasst zu haben, ist der alles entscheidende Faktor für zukünftige Entscheidungen.

Dienstag abend. Alles geplant. Die Eltern weg, die Katze im Keller, Drinks auf Lager. Eine letzte Mitteilung in die Whatsapp-Gruppe, Silvester 2019, „gebt mir doch nochmal Bescheid, ob ihr kommen könnt.“ Das ist ja wohl nicht zu viel verlangt. Könnte man meinen. Von wegen! Eine Stunde vor Beginn, bisherige Rückmeldungen lassen sich irgendwo zwischen Zu- und Absagen verorten – „Ich sag später noch Bescheid.“ Konkreter wird es dann doch erst kurz vor knapp. „Sorry, mein Hund hat gekotzt.“ „Tut mir leid, ich schaffs heut‘ leider nicht mehr.“ Begründung überflüssig – von einer Zusage war ja schließlich nie die Rede.

Da sitzt er nun, der gutgläubige Gastgeber, inmitten eines Zimmers voller Luftschlangen und Ballons, in der Luft der verbrannte Geruch der leer vor sich hinbruzelnden Raclette-Pfännchen. 2020 kann dann mal kommen. Noch eine kurze Mitteilung an die Gruppe: „Danke, war nicht schön mit euch!

Ein Phänomen wird zum Problem. Ein Problem auf das mittlerweile auch die Gesellschaft aufmerksam wird. Eine Gesellschaft, die den Moment verpasst und sich alles offen hält, ständig in der Hoffnung und in Warteposition – Warten und Hoffen auf was ? Auf Besseres.

Verbindliche Unverbindlichkeit

Entscheidungspanik ist längst kein Generationending mehr, sondern vielmehr ein Zeitgeist. Dass ein Phänomen zum Trend geworden ist, lässt sich spätestens zu dem Zeitpunkt sicher diagnostizieren, wenn dafür ein Begriff existiert. Und das tut er: Mingle – Die Form der verbindlichen Unverbindlichkeit. Zusammengesetzt aus dem englischen „Mixed und „single“ bezeichnet diese Wortneuschöpfung jene Form des verpflichtungsfreien Zwischendaseins in einer Nicht-Beziehung, der einen von jeglicher Verantwortung freispricht. „Praktisch“, könnte man sagen. Eine Beziehung mit all ihren Vorteilen, nur eben ohne die Verpflichtung. Selbst Enttäuschungen entgeht man in dieser Form des Zusammenseins, verbindliche Versprechen gab es ja nie. „Kritisch“ könnte man andererseits sagen, schließlich ist die Rede vom „selbstverschuldeten Eintritt in die Unmündigkeit“, wenn man so will. Die Gefahr besteht, dass eine Gesellschaft entsteht, die sich die eigene Entscheidungsmacht abspricht und unklare Übergangszustände zum Dauerzustand erklärt.

Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit?

Egal ob in Freizeit, Beziehungen oder in der Arbeitswelt mit freien Mitarbeitern, die weder an klassische Bürozeiten noch Orte gebunden sind. Die Gefahr der Unverbindlichkeit lauert überall. Es scheint, als hätte die Gesellschaft ungebunden ihr Glück gefunden. Wie trügerisch dieses Schein-Glück wahrhaftig ist, wird oft erst im Nachhinein klar, wenn es heißt: Zu spät, vorbei, es kommt nichts besseres.