Theaterkritik

9/26 – Oktoberfestattentat

/ / Foto: Julian Baumann

Vor gut 40 Jahren hat der bis dahin verheerendste Terroranschlag in Deutschland stattgefunden. Beim Attentat auf das Münchner Oktoberfest am 26. September 1980 starben 13 Menschen, zahlreiche wurden schwer verletzt. Die Münchner Kammerspiele begeben sich noch einmal auf Spurensuche in einem nie ganz aufgeklärten Fall.

Wissen Sie, was am 26. September 1980 passiert ist? Wo waren Sie? Wie haben Sie Ihren Tag verbracht? Und: Gab es Sie überhaupt schon? Das sind die Fragen, mit denen sich das Stück von Christine Umpfenbach zu Beginn an das Publikum wendet. Im Zentrum steht die Geschichte des sogenannten Oktoberfestattentats, welches 13 Menschen das Leben gekostet und Hunderte verletzt hat. Die Schauspieler:innen schlüpfen auf der Bühne der Kammerspiele in die Rolle der Überlebenden und erzählen so vielstimmig, was am 26.09.1980 in München passiert ist und welche gravierenden Spuren der Terroranschlag im Leben der Betroffenen hinterlassen hat, während die Öffentlichkeit die Augen verschloss. 

Das Erinnern von Wirklichkeit 

Worüber sprechen wir und was wird vergessen, verschwiegen, versteckt? Das kulturelle und historische Gedächtnis einer Gesellschaft ist vielschichtig und komplex. An welche Akteur:innen und Vorfälle wir uns erinnern, ist eine Fragestellung, die ganze Promotionen füllen kann. Trotzdem sollte man doch meinen, dass der schlimmste Terroranschlag in der Geschichte der Bundesrepublik einen Platz in unserem Diskurs haben sollte. Allerdings wissen viele nicht, dass am 26.9.1980 gegen 22:20 Uhr eine Bombe am Haupteingang des Oktoberfests in einem Mülleimer explodierte oder dass es dieses Attentat überhaupt gab. 

Rasmus Friedrich als Robert Höckmayr © Julian Baumann

Als wäre es gestern 

Doch die Betroffenen erinnern sich. Und zwar an jedes Detail. Sie erinnern sich an die Farbe ihrer Klamotten, an andere Besucher:innen, dass sie keine Zigaretten mehr hatten, welche Wunden und Zerfleischungen die Bombe hinterließ, wie schnell die Sanitäter:innen kamen, mit wie viel Blut der Krankenwagen gefüllt war… Warum erinnern wir uns nicht? Genau das wird hier thematisiert und zieht somit die Politik und alle Zuschauer:innen in die Verantwortung. 

Alles startet jedoch erst einmal sehr ausgelassen. Die Darsteller:innen tanzen zu Daddy Cool und bereiten sich auf den anstehenden Wiesn-Abend vor. Diese Partystimmung kippt jedoch schnell in eine angsterfüllte Atmosphäre. Das Attentat und seine Folgen werden aus den verschiedenen Perspektiven geschildert, mal chronologisch, mal von Rückblicken durchzogen. Insgesamt reicht die abgedeckte Zeitspanne des Stücks von 1980 bis in das aktuelle Jahr.

Der versäumten Erinnerung wird in dieser Kooperation der Kammerspiele mit der Otto-Falckenberg-Schule also buchstäblich eine Bühne gegeben. Das minimalistisch und hauptsächlich aus beleuchteten Vorhängen bestehende Bühnenbild lässt hierbei ausreichend Raum für den Inhalt der Produktion. Nach und nach wird erzählt, mit was die Überlebenden Robert Höckmayr, Brigitte Hossmann, Dimitrios Lagkadinos, Renate Martinez, Hans Roauer und Claudia Zimmerer zu kämpfen hatten. Eine Geschichte von Amputationen, Suizid, posttraumatischen Störungen und Simulations-Vorwürfen. Ein Bericht davon, dass die zuständige Politik auf dem rechten Auge blind war und so jahrelang die Einzeltäter-Theorie vertreten hat. Obwohl deutlich war, dass der Zünder der Bombe – Gundolf Köhler – mit der Wehrsportgruppe Hoffmann in Verbindung stand, wurde diese weiterhin ignoriert. Der rechte Terror passte einfach nicht zum Bild des größten Volksfestes der Welt, es gab ihn also nicht. Als das LKA im Jahr 2015 (also ganze 35 Jahre später) begann den Fall neu aufzurollen, waren bereits alle Asservate vernichtet. 

Kurz vor dem Attentat © Julian Baumann

Ist es schon zu spät?

Der Versuch, dieses Kapitel erneut aufzuschlagen, scheiterte. Das Erinnern ist mühsam, rechtlich teilweise kaum nachvollziehbar. Zu wenig wurde und wird den Betroffenen zugehört. Wie tief und schmerzhaft diese Wunde ist, wird uns in 9/26 – Oktoberfestattentat vor Augen geführt. Dafür braucht es nicht viel optische Nachhilfe, die Worte der Betroffenen reichen aus. Es handelt sich um eine Unterdrückung von Schmerz und Wahrheiten, unter der nicht nur die Überlebenden leiden, sondern auch unsere Gesellschaft als Ganzes. Denn solch Stillschweigen bestimmt unsere Lebenswirklichkeit, unser Denken und unser Handeln. 

Die Politik bezieht Stellung © Julian Baumann

Aktiv gegen das Verblassen  

Die Kammerspiele haben durch ihr Stück einen ganz entscheidenden Schritt in Richtung Erinnerung getan. Und zwar aus der richtigen Perspektive, der Perspektive der Betroffenen. Hier darf es allerdings nicht aufhören. Wir müssen anfangen den Stimmen mehr Raum zu geben, den rechtsextremistischen Anschlag als Teil der Geschichte zu sehen, welche wir durch Bildung vermitteln. Wir müssen für ein angemessenes Erinnern kämpfen. 

Am 26.09.1980 getötet wurden:

Gabriele Deutsch (1962)

Robert Gmeinwieser (1963)

Axel Hirsch (1957) 

Markus Hölzl (1936)

Paul Lux (1928) 

Ignaz Platzer (1974)

Ilona Platzer (1972) 

Franz Schiele (1947)

Angela Schüttrigkeit (1941) 

Errol Vere-Hodge (1955)

Ernst Vestner (1950) 

Beate Werner (1969)

Das Stück 9/26- Oktoberfestattentat wurde am Samstag den 16.01. und 21.01.2021 als Live-Stream der Kammerspiele gezeigt. Weitere Informationen und das zugehörige Programmheft findet ihr auf der Website der Münchner Kammerspiele.