Eine schwierige Frage

Söder und die Grenzpolizei

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Markus Söder macht aktuell wieder viel von sich reden. Der bayerische Ministerpräsident fordert in Anbetracht der wieder aufflammenden Migrationskrise unter anderem eine Grenzpolizei für ganz Deutschland. Unter allen Bundesländern verfügt nur Bayern über eine solche Sondereinheit.

Es ist eine der Fragen des Wahl-O-Mat zur diesjährigen bayerischen Landtagswahl, die für viele Teilnehmer:innen ohne weitere Vorkenntnisse wahrscheinlich nicht so einfach zu beantworten ist: “Soll der Einsatz der bayerischen Grenzpolizei an der Grenze zu Österreich verlängert werden?” Obwohl der Verweis auf die über 800 Personen starke Polizeieinheit mittlerweile zum Fachjargon bayerischer Sicherheitspolitik gehört, ist deren schlichte Existenz umstritten.

Von Söder aus der Taufe gehoben

Es war eines der Prestigeprojekte von Markus Söder, nachdem er 2018 Horst Seehofer als Ministerpräsident abgelöst hatte: Die Wiedergeburt der bayerischen Grenzpolizei. Diese existierte bereits von 1946 bis 1998 und sollte die Bundesgrenzen in Bayern schützen. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und nach dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union und zum Schengener Abkommen im Jahr 1995 wurde die Arbeit der bayerischen Grenzbeamt:innen nach und nach eingestellt.

“Ein ausgemachter Etikettenschwindel”

Katharina Schulze, Vorsitzende der Grünen-Landtagsfraktion

Söder argumentierte zur Zeit der Wiedereinführung, die zunehmende illegale Migration eindämmen zu wollen. Kritiker:innen verwiesen jedoch auf die anstehenden Landtagswahlen im Herbst 2018 und warfen ihm Symbolpolitik vor. “Großes Brimborium, weil Markus Söder wie üblich die Schlagzeile wichtiger war als der Inhalt”, so Oppositionsführerin Schulze.

Tatsächlich ist unter Expert:innen höchst umstritten, wie “effektiv” Grenzkontrollen wirklich sind. Das Grundrecht auf Asyl sichert Migrant:innen die Prüfung des Asylantrags zu, sofern sie noch nicht in einem anderen EU-Staat registriert sind. Andererseits argumentieren Befürworter:innen, dass mit Grenzkontrollen wirksame Signale der Kontrolle nach außen und innen gesendet werden. Dies dürfe als Ergänzung zur Schleierfahndung nicht unterschätzt werden.

Die Opposition sprach von Beginn an von Verfassungsbruch, weil der Grenzschutz einzig Sache des Bundes sei. Die Landtagsgrünen klagten gegen das Vorhaben der bayerischen Staatsregierung und erhielten vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof Recht. Trotzdem darf die Grenzpolizei weiter existieren, nun als “degradierte Hilfstruppe der Bundespolizei”, wie Kritiker:innen sagen.

10.000 Grenzpolizist:innen für Deutschland?

Fünf Jahre nach der Einführung der Grenzpolizei des Freistaats Bayern und erneut vor der nächsten Landtagswahl brüstet sich der bayerische Regierungschef mit der Bilanz.
“In fünf Jahren rund 80.000 Fahndungserfolge bei den Sicherheitskontrollen. Unserer Grenzpolizei sind Menschenhändler, Waffenschieber, Drogenhändler, Urkundenfälscher und Terrorverdächtige ins Netz gegangen”, sagte er vor kurzem der “Welt am Sonntag”. Die Grenzkontrollen zu Österreich sollen verdachtsunabhängig und stichprobenartig erfolgen.

Aus diesem Grund fordert Söder eine Ausweitung von “Bayerns Frontex”, wie er es nennt, auf die gesamten bundesdeutschen Grenzen mit 10.000 Beamt:innen. Anders könne die irreguläre Einwanderung nicht mehr ausgebremst werden. Die CDU-Innenminister:innen der ostdeutschen Bundesländer und Teile der Polizeigewerkschaften schlagen in die gleiche Kerbe und fordern Grenzkontrollen zu Polen und Tschechien. Die deutsch-polnische Grenze löste in diesem Jahr die österreichische Grenze als Hauptmigrationsroute ab.

Letztlich obliegt es Bundesinnenministerin Nancy Faeser, Grenzkontrollen zu erlassen oder zu verlängern. Faeser plädiert aber weiter für verstärkte Schleierfahndungen im Grenzgebiet zu Polen und Tschechien. Stationäre Grenzkontrollen lehnte die SPD-Politikerin bis vor kurzem noch ab, inzwischen ist sie auch davon abgerückt.

Grenzkontrollen in der Europäischen Union stehen wieder häufiger auf der Tagesordnung als noch vor einigen Jahren
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System Schengen am Scheideweg?

Aber gehören Zeiten hochgezogener Grenzzäune mitten in Europa nicht längst der Vergangenheit an? Im 26 Staaten umfassenden Schengenraum gibt es eigentlich keine stationären Personenkontrollen mehr. Mehrere Länder in Europa machten in den vergangenen Jahren aber von Ausnahmeregelungen Gebrauch und führten ab 2015 im Zuge der “Flüchtlingskrise” wieder Grenzkontrollen ein.

“Olaf Scholz muss die Flüchtlingspolitik endlich zur Chefsache machen”

Appell der bayerischen Landrät:innen an die Bundesregierung vom 15. September 2023

Derweil sieht es nicht danach aus, als ob diese Entwicklungen zeitnah revidiert würden, im Gegenteil: In einem Brandbrief an die Bundesregierung fordern alle 71 bayerischen Landrät:innen “konsequente Einwanderungsstrategien für Europa, Deutschland und Bayern”. Die Bundespolizei müsse “lückenlos die Grenzen sichern und überwachen”. Die Kapazitäten der Kommunen seien völlig ausgeschöpft.

Die einzelnen Nationalstaaten, die auf Ausnahmeregelungen der Grenzsicherung zurückgreifen, richten den Zeigefinger nach Brüssel. Die Europäische Kommission müsse gemeinsam mit der Grenzschutzagentur Frontex endlich eine ausreichende Koordinierung der europäischen Außengrenzen gewährleisten. Solange diese Forderung besteht, könnte das Grundprinzip von Schengen angetastet bleiben. Und Markus Söder seine deutschlandweite Grenzpolizei bekommen.