Eine Ode an den Schlüssel

Ein Blick durch das Schloss

/ / Bild: M94.5 / Guillem Peruxtet

Manchmal braucht es eine Sekunde Klarheit, um eine Sache des Alltags anders zu sehen. Ist man zum Beispiel ausgesperrt, dann fällt erst auf, wie wertvoll ein Schlüssel sein kann. Ob metaphorisch, historisch oder einfach als Gebrauchsgegenstand – für unseren Redakteur Guillem Perutxet haben die kleinen, gezackten Metallgegenstände eine besondere Bedeutung. 

Als das kalte Wetter hereinbricht, klemmt das Haustürschloss erneut. Ich stehe in einer pfeifenden Gletscherbrise, während ich mit dem Schlüssel wackle und rüttle. Ich weiß, dass es einen Trick gibt, wie bei jedem Schlüssel: Einige müssen mit aller Kraft bis zum Anschlag hineingedrückt werden, und andere müssen mit Finesse ein wenig zurückgezogen werden, damit Schlüssel und Schloss elegant einrasten. Es ist schwer, über Schlüssel zu schreiben, ohne in Erotik zu verfallen.

Wie oft standen Menschen im Laufe der Jahrhunderte vor einer Tür und zweifelten sowohl am Schlüssel, als auch an dem Schloss und stellten sich sogar für eine Sekunde vor, dass sie für immer ausgesperrt sein würden? Ein kleines Stück Metall, so kunstvoll geschnitten, dass es dich entweder problemlos einlassen kann, oder sicherstellt, dass du nie hineinkommst. Römische Schlüssel waren unseren sehr ähnlich. Eines der eindrucksvollsten Objekte aus Pompeji ist ein verschmolzener Schlüsselbund, der am Strand gefunden wurde, damals so kostbar und jetzt so nutzlos.

Wir können mittlerweile Türen auf andere Weisen öffnen. In vielen Hotels hat ein Chipkartensystem den kleinen Schlüssel ersetzt. Dennoch benötigen sie oft das gleiche langsame und komplizierte Hin-und-Her-Ritual, bevor sie grün blinken und dir Zutritt gewähren. Ich könnte ein biometrisches Schloss an meiner Haustür anbringen, das mich einlässt, nachdem ich mein Auge gescannt habe. Doch das geht mir einen Schritt zu weit.

In Kunst und Politik kommen Schlüssel oft vor

Vielleicht haben wir zu lange über Schlüssel des Herzens gesungen und versprochen, Geheimnisse unter Verschluss zu halten. In Hamlet verspricht Ophelia ihrem Bruder Laertes, sich an seinen Rat zu erinnern, Hamlet nicht zu heiraten: “’Tis in my memory lock’d, And you yourself shall keep the key of it.” Seit langem sind Schlüssel und Schloss beliebte Symbole für Geheimnisse oder verborgenes Wissen. In der Kunst wie in der Politik werden sie heute noch oft verwendet.

Vor allem in der Kirchengeschichte sind sie präsent. Das Wappen des Vatikans zum Beispiel beinhaltet zwei gekreuzte Schlüssel. Einen goldenen für das Jenseits, und ein silbernen für das Diesseits. Man nennt sie Binde- und Löse-Schlüssel. Auch die Schlüssel Petri nach dem Apostel Petrus, dem Hüter des Himmelstors. In Bethlehem befindet sich der aktuell größte Schlüssel der Welt. Die Skulptur ist zehn Meter lang und knapp eine Tonne schwer. Damit fordern Palästinenser symbolisch seit einigen Jahren Zutritt zu ihrem Land.

Schlüssel als politische Symbole sind jedoch keine unübliche Geste. Sie werden bei Amtsübergaben, Einweihungen und festlichen Anlässen überreicht. Der Minister erhält einen Schlüssel für sein Amt, der Bürgermeister den für die Stadt.

Schlüssel symbolisieren Hoffnung

Schlüssel sind auch ein Symbol der Hoffnung. Als Alice das Kaninchenloch hinunter ins Wunderland geht, findet sie einen winzigen goldenen Schlüssel auf einem Glastisch. Er öffnet eine Tür, für die sie zwar zu groß ist, aber dahinter liegt eine wunderbare Welt. Kleine Schlüssel öffnen Spieldosen, Schatzkisten, Schreibtisch-Schubladen, in denen dann eine Kordel-gebundene Botschaft aufbewahrt ist.

Ich werfe niemals Schlüssel weg, auch wenn ich nicht mehr weiß, wofür sie sind. Denn irgendwann kann genau das Schloss auftauchen, für das sie gemacht wurden.