Frauenrechte in der Welt

„We should all be feminists“

/ / Bild: bmszealand / Shutterstock

Das Thema Frauenrechte in Nigeria ist so heiß diskutiert wie vielschichtig. Von überholten anarchischen Familienmodellen bis zu einer aktiven, weltweit anerkannten feministischen Bewegung zeigt sich eine Bandbreite von Positionen, die eine Sache vereint: Wandel.

Bei seinem Staatsbesuch in Deutschland erregte der nigerianische Präsident Muhammadu Buhari relatives Aufsehen als er den Wirkungsbereich seiner eigenen Ehefrau auf die Küche beschränkte:

“Ich weiß jetzt nicht genau, welcher Partei meine Frau angehört […] in jedem Fall gehört sie in meine Küche, in mein Wohnzimmer und in ein anderes Zimmer in meinem Haus.”

Man muss nicht unbedingt Feministin sein, um bei einer solchen Äußerung Übelkeit in der Magengegend zu verspüren. Denn dieses Zitat könnte doch durchaus aus dem letzten oder gar vorletzten Jahrhundert stammen. Der Stereotyp des afrikanischen Landes, das in Sachen Frauenrechte noch deutlich hinterherhinkt, ist damit auf jeden Fall bedient.

Und doch liegen die Dinge anders – zumindest ein wenig. Buhari fühlte sich nämlich offensichtlich gezwungen auf ein relativ provokatives BBC-Interview seiner Frau Aisha Buhari zu reagieren. Darin gab sie nämlich selbstbestimmt zu verstehen, dass sie den aktuellen politischen Kurs ihres Ehemanns nicht gutheißen kann und ihn im nächsten Wahlkampf möglicherweise nicht mehr unterstützen wolle.

Vielfalt an Positionen

Dieser Fall zeigt nicht nur, dass man mit Stereotypisierungen achtsam umgehen sollte, er zeigt auch die ganze Bandbreite an Positionen, die in Nigeria zum Thema Frauenrechte existieren: von einer absolut patriarchalisch geprägten Reduktion der Frau auf ihre Rolle als Familienmutter, Köchin und sexuelle Dienstleisterin bis zu der gebildeten, berufstätigen, eigenständigen Frau, die ihre Meinung bestimmt vertritt und sich ihrer Rolle in der Gesellschaft bewusst ist.


Bild: Screenshot M94.5 / Google Maps

Warum diese Bandbreite? Nigeria ist mit über 180 Millionen Einwohnern nicht nur das bevölkerungsstärkste Land Afrikas, sondern es ist auch geprägt von einer großen kulturellen, religiösen und ethnischen Vielfalt. Es gibt einen muslimisch geprägten Norden mit einigen wirtschaftlich schwachen Regionen, einer langen und mittlerweile eingedämmten Aktivität der islamistischen Terrormiliz Boko Haram und einer starken muslimischen Kultur, die sich streckenweise nach Scharia-Gesetzten richtet. Der Süden ist mehrheitlich christlich geprägt, wirtschaftlich etwas stärker.

Darüber hinaus spielen in vielen Teilen des Landes auch traditionelle Religionen wie Voodoo eine zentrale Rolle in der Alltagskultur. Diese Vielfalt führt dazu, dass – obwohl die nigerianische Verfassung bereits seit 1999 die Gleichheit der Geschlechter garantiert und die Regierung beständig an dem Zugang von Frauen zu Bildung, Wirtschaft und an ihrer politischen Partizipation arbeitet – die Wirklichkeit leider anders aussieht. Was auf nationaler Ebene entschieden wird oder als Entwicklungsziel gesetzt wird, wird auf der Ebene der 36 Staaten unterschiedlich und oftmals schlechter umgesetzt.

Heirat von Minderjährigen

Ein paar Fakten: 25 % der nigerianischer Frauen wurden als Kinder einer Genitalverstümmelung unterzogen. 44 % der Frauen heiraten vor ihrem 18ten Geburtstag. 18 % sind sogar unter 15 Jahren. Damit belegt Nigeria laut UNICEF den dritten Platz in Sachen Kinderheirat. Mit dem ‘Child Rights Act’ von 2003 wurde das gesetzliche Mindestalter für die Heirat auf 18 Jahre festgelegt, bis heute gibt es mehr als 10 Staaten – mehrheitlich aus dem Norden – die daraus kein Gesetz geformt haben. Oftmals reicht die Einwilligung der Eltern aus, eine Heirat mit einer Minderjährigen zu legitimieren. Die Einwilligung erfolgt meist aus finanziellen und traditionellen Gründen.

Veraltetes polygames Familienmodell

Im klassischen nigerianischen Familienmodell teilen Mann und Frau die erzieherischen Aufgaben. In vielen Fällen haben Frauen die Entscheidungsfreiheit über finanzielle Ausgaben. Frauen können einen eigenen Haushalt führen. Das ergibt sich aber auch aus dem Umstand, dass in Nigeria das polygame Familienmodell noch nicht ausgestorben ist. Mehr als 10 Staaten stellen polygame Familienmodelle der monogamen Partnerschaft gleich. Demzufolge haben Männer bis zu drei oder vier Familien, was die Mütter notgedrungen in die Position der alleinigen Haushaltsführung bringt. Vielleicht deswegen ist aber auch ein Umdenken bei der jüngeren Generation spürbar.

Der Wandel – Nigerias junge Generation

Das reflektiert auch Nigerias Filmindustrie ‘Nollywood’: Noch größer als Bollywood und Hollywood produziert ‘Nollywood’ bis zu 2000 Filme im Jahr; einige davon sind mittlerweile auch von Netflix eingekauft. Die Storylines behandeln viele aktuelle Themen wie Feminismus, Frauenrechte, Abtreibung, etc. und geben so Anstoß für eine modernere Haltung, wenn ambitionierte Töchter plötzlich die väterlichen Unternehmen übernehmen (Lionheart) und die landesweit verpönte Abtreibung plötzlich vom Mann gefordert wird (Falling).

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Von Nigerias jüngerer Generation geht also definitiv Hoffnung aus. Doch auch hier liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen, wenn die sportlichen, emanzipierten und immer-schönen Hauptdarstellerinnen beim Joggen von einem Bodyguard oder gleich einem Personenschutzwagen begleitet werden müssen. Vergewaltigungen und gewalttätige Übergriffe auf Frauen sind ein weit verbreitetes Problem in Nigeria. Während die Vergewaltigung innerhalb der Ehe nicht eindeutig strafbar ist, scheitert die Verfolgung von gewalttätigen Übergriffen oft am fehlenden Engagement der Polizei.

Feministische Bewegungen

Feminismus ist ein heiß diskutiertes Thema in Nigeria. Traditionelle Meinungen stehen eine engagierten feministischen Bewegung gegenüber, die die Essenz des Feminismus vielleicht gerade angesichts der diversen Situation im eigenen Land besonders gut auf den Punkt bringt.

„The problem with gender is that it prescribes how we should be rather than recognizing how we are. Now imagine how much happier we would be, how much freer to be our true individual selves, if e didn’t have the weight of gender expectations“,

so die international renommierte Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie in ihrem bekannten TED-Talk mit dem Titel ‘Why we all should be feminists‘. Die Lektüre des dünnen Büchleins ist für die deutsche Debatte gerade aufgrund seiner Essenzialität und seinem Verzicht auf Überintellektualisierung wertvoll: Auf die typischen Vorurteile antwortet Adichie mit den einfachen Worten:

“I am a happy African feminist who does not hate men and who likes to wear lip gloss and high heels for herself and not for men.”