Filmfest 2025

THE EXPOSURE

/ / Bild: Filmfest München

“Es handelt sich um eine verhältnismäßig lächerliche Summe – Dreißigtausend” Wenn Lili diese bis morgen Mittag nicht auftreibt, wandert ihr Vater für seine Spielschulden ins Gefängnis. So steht es in dem Brief ihrer Mutter, der sie wie selbstverständlich auffordert, deshalb ihren Körper an den alten Dr. Dorsday zu verkaufen. Lili ist neunzehn und die Protagonistin in “The Exposure“, Thomas Imbachs direkter Adaption von Arthur Schnitzlers Novelle “Fräulein Else”.

Dorsday als alter Freund der Familie hat Lili schon als kleines Kind unerwünschte Aufmerksamkeit und Nähe aufgedrängt. Damals hat ihre Mutter das geduldet, jetzt will sie es nutzen, auf Kosten von Lilis Würde und sexueller Autonomie. Was dieser Zwang mit der Psyche einer Frau in den 1920er Jahren – genauso wie heute – macht, entfaltet sich über eine Nacht hinweg in einem inneren Monolog. Ein immer wirrer herumspringender Stream of Consciousness nimmt uns mit in Lilis Innenwelt, die zerrissen ist von ihrem Pflichtgefühl, ihrer Sorge und zugleich Verachtung für ihren verantwortungslosen Vater und ihrem Ringen um Integrität.

So stilisiert wie eine Frau

Die künstliche Umgebung, die die widersprüchlichen Erwartungshaltungen von Keuschheit und zugleich sexueller Verfügbarkeit in Lili kultiviert haben, wird durch surreal wirkende 3D Projektionen sichtbar. Dafür nutzt Regisseur Thomas Imbach High Tech Virtual Production, dreht also nur im Studio vor einer bespielten Leinwand, verzichtet dann aber auf jegliche Postproduction. Diese schafft in neuen Hollywood Produktionen wie “The Mandalorian” den finalen realistischen Look. Stattdessen dreht er in 16mm und fängt damit in einer körnig analogen Ästhetik bewusst den Kontrast zwischen den realen Schauspieler:innen und dem virtuellen Umfeld ein. So sehen wir, wie sich der Berg vor Lilis Fenster erdrückend über sie schiebt, während sie verschiedene Ausgänge der Nacht abwägt – reale, wie den Selbstmord ihres Vaters oder ihren eigenen und weniger reale, wie den italienischen Sommerflirt aus der Vergangenheit, der ihr zur Hilfe eilt, indem er mit ihr Charleston tanzt.

Obwohl sie schließlich mit Dorsday in den Wald spazieren geht und ihn um das Geld bittet, wehrt sich alles in ihr, sich dem Machtmissbrauch völlig auszuliefern. Abwechselnd gibt sie klein bei und versucht sich überall kleine gefühlte Handlungsspielräume offen zu halten – reagiert authentisch frech oder kalt und dann doch wieder kokett und ist schockiert, wie automatisiert sie gegen ihre Intuition flirtet und sich selbst übergeht.

Auch meine Forderung stelle ich nicht so hoch – Dorsday

Dorsday verlangt “nur”, sie eine viertel Stunde nackt zu sehen und erklärt ihr und eigentlich sich selbst, dies ähnle nur zufällig einer Erpressung, sie könne ja schließlich nein sagen und er könne gar nicht anders handeln. Dabei wird das Ausnutzen einer Notlage als Zwang entlarvt und aufgezeigt, wie das überholte Argument des männlichen Triebs vorgeschoben wird, um sich aus der Verantwortung zu ziehen.

“Je vous désire” – Dorsday

Eine Stärke des Films liegt darin, zu zeigen, was je nach Kontext alles bereits Missbrauch sein kann. Sobald Dorsday mit dem Satz “Je vous désire” seinen Willen zum Machtmissbrauch offen legt, bedeutet jeder weitere Kommentar und jede Geste eine Grenzüberschreitung. Als er Lilis Hand zum vorläufigen Abschied küsst, zeigt sich im Gesicht von Hauptdarstellerin Deleila Piasko Ekel, Angst und Erstarrung, aber Dorsday beschließt, das zu übersehen. Wir dürfen es nicht übersehen, deshalb bleibt die Kamera dort unangenehm lange stehen, bis keiner mehr das visuelle Nein leugnen kann.

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Male Gaze auf den Male Gaze?

Deleila Piasko trägt mit ihrer Präsenz die vielen Szenen, in denen nur sie zu sehen ist und spielt verträumt und gleichzeitig wach Lilis Versuche der Selbstermächtigung inmitten ihrer Ohnmacht. Zu den Dreharbeiten mit Thomas Imbach sagt sie: “Man muss sich reiben können, vor allem als männlicher Regisseur offen für andere Perspektiven sein.” Sie hätten viel diskutiert über den Male Gaze des Regisseurs, auf seinen eigenen Film über das Leiden einer Frau unter dem Male Gaze. Auch im Schnitt habe sie eine weibliche Perspektive eingebracht. Der Film wolle jedoch nicht verheimlichen, dass er von einem Mann gemacht wurde.

The Exposure zeigt wie eine Fallstudie auf, welche Auswege die Psyche in einem feindlichen Klima sucht. Dass die direkte Adaption einer Novelle von 1924 über die Sozialisation von Frauen – zu verfügbaren Lustobjekten – noch solche Aktualität besitzt, schockiert, aber macht den Film relevant und sehenswert.

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