Stahlmast

Mutter Natur machts vor

Fraktale in moderner Architektur

/ / Bild: M94.5 / Marius Antonini

Die Schneeflocke – eine symmetrische Sechs, jeder Arm gleicht dem anderen. Fraktale Muster wie das von Eiskristallen sehen wir in der Natur sehr oft. Aber auch Architekt:innen nutzen Fraktale. Die kann unser Hirn besonders gut verarbeiten, fraktale Muster findet es schön. Das mindert Stress und dient dem mentalen Wohlbefinden.

Evolutionär bedingt möchte unser Gehirn faul sein. Es mag Signale, die es einfach verarbeiten kann. Wenn es dagegen viel Denkarbeit aufwenden muss, um etwas zu erkennen und zu begreifen, bereitet das Stress.

Dass positive Empfindungen Stress entgegenwirken, ist ein ganz allgemeines Ergebnis, das wir in der Forschung sehen, gerade im therapeutischen Bereich.

Dr. Brielmann

Die Neuroästhetik

Die Neuroästhetik ist ein Bereich der Neurologie und Psychologie und beschäftigt sich mit unserem sensorischen Erleben: Welche Prozesse im Gehirn laufen beim Anblick von schöner Kunst oder beim Musikhören ab? Schöne Architektur wirkt auf unser Hirn entspannend und anregend, ähnlich wie ein guter Song. 

Aenne Brielmann ist Postdoktorantin am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen. Sie erklärt, warum uns architektonische Bauten mit einer fraktalen Struktur so gut gefallen:

Pflanze

Weil Fraktale so wahnsinnig häufig in der Natur vorkommen, hat sich unser visuelles System darauf schon eingestellt. Wir scheinen schon biologisch darauf vorbereitet zu sein, dass die Welt sehr viele Fraktale enthält.
– Dr. Brielmann

Fraktale Strukturen

Fraktale sind sich selbst wiederholende Muster. Ihre Struktur wiederholt sich andauernd, sie sieht in ihren kleinen Einzelteilen aus wie in ihrer Gesamtheit. In der Natur kommt das sehr häufig vor. Beispiele für natürliche Fraktale sind Wolken oder Äste an Bäumen. Jeder Ast ähnelt dem ganzen großen Baum und an jedem Ast hängen kleinere Äste, die wiederum aussehen wie kleine Bäume mit Ästen. Ein weiteres schönes Beispiel ist der Romanesco-Blumenkohl. Diese natürlichen Fraktale sind nicht ganz perfekt, man nennt sie daher imperfekte Fraktale.

Da unser Hirn von Natur aus darauf trainiert ist, Fraktale zu erkennen, gefallen ihm fraktale Muster auch in der Architektur. Besonders in alten Innenstädten sieht man Fraktale, wie etwa an gotischen Kathedralen oder dekorativ mit kleinen Wiederholungen an Fassaden.

Fraktale Architektur in München

Rathaus in München
das Münchner Rathaus – ein neogotischer Bau mit fraktaler Struktur an der Fassade
Bild: M94.5 / Marius Antonini
Chilenischer Turm
fraktale Pagodendächer am Chinesischen Turm im Englischen Garten
Bild: M94.5 / Marius Antonini

In der modernen Architektur hingegen gibt es diese fraktale Strukturen selten. Die meisten Gebäude sind unnatürlich gleichmäßig, rechteckig und flach. Unser Gehirn kennt nichts Vergleichbares aus der Natur und tut sich daher schwer, die Muster zu verarbeiten. Dadurch ist es für uns schwieriger, uns zu orientieren und wir empfinden Stress.

Gleichmäßig, flach, rechteckig

Patentamt in München
Bild: M94.5 / Marius Antonini
Haus
Aussenfassade von Galeria Kaufhof am Marienplatz
Bild: M94.5 / Marius Antonini

Wie können wir das, was wir wissen, darüber wie das Hirn diese visuellen Eindrücke verarbeitet, ausnutzen, um bessere und schönere urbane Welten zu bauen?

– Dr. Brielmann

Für die Zukunft wünscht sich Brielmann wieder mehr Fraktale in der Architektur, sowohl in der Baustruktur als auch an Fassaden. Ziel kann nicht sein, den Menschen an die moderne Großstadt anzupassen, sie findet, die Architektur habe dem Gehirn zu folgen.