Kommentar

Mitnichten nur ein gescheiterter Widerstandskämpfer

/ / Bild: M94.5

Aus manchen Blickwinkeln und Äußerungen konnte man nach Jörg Meuthens Parteiaustritt regelrechte Sympathien für den langjährigen AfD-Vorsitzenden herauslesen: Er habe einen langen Kampf gegen die radikalen Kräfte in der Partei verloren und müsse jetzt kapitulieren. Doch diese Darstellung ist nicht nur verharmlosend, sondern schlichtweg falsch – findet Nico Grünbeck. Ein Kommentar.

Mit Rechtsextremen nichts am Hut? Der Zug ist längst abgefahren

Jörg Meuthen hat die AfD verlassen. Endlich. Nach jahrelangen Unruhen und den zuletzt offen ausgetragenen Machtkämpfen an der Parteispitze war es scheinbar unumgänglich, dass Meuthen gehen muss. Wer jetzt allerdings von Meuterei spricht und den scheidenden Kapitän vor seiner eigenen Besatzung in Schutz nimmt, liegt daneben. Denn während der bürgerlich-konservative Anstrich der AfD inzwischen restlos abgeblättert ist und ihren tiefbraunen Rumpf offenbart hat, hatte Meuthen genug Möglichkeiten, um von Bord zu gehen – vielleicht sogar als jener gemäßigte Rationalist, für den er sich ausgibt. Stattdessen aber hat er die radikalen Auswüchse seiner Partei lange nicht nur schweigend hingenommen, sondern aktiv verteidigt. Und damit ist Jörg Meuthen keineswegs in der Opferrolle, deren Inszenierung ihm jetzt mit seinem Parteiaustritt gelungen zu sein scheint. Er hat die rechtsextremen Ideologien im Deutschen Bundestag mit etabliert.

Mehr als nur ein untätiger Zeuge

Diese Schuld versucht Meuthen seit seinem Austritt von sich zu weisen, indem er fleißig gegen seine Ex-Partei wettert. Das plötzliche Entsetzen über deren immer radikaleren Kurs kann ihm aber niemand ernsthaft abkaufen. Meuthen hat nämlich genau gewusst, an welcher Spitze er all die Jahre stand – und hat selbst dazu beigetragen, dass Radikalisierung und Hetze Platz hatten. 2015 stoppte er ein Parteiausschussverfahren gegen einen Stuttgarter AfD-Stadtrat, der den Koran mit Hitlers “Mein Kampf” verglichen hatte. 2016 nahm er den baden-württembergischen Landtagskandidaten Markus Frohnmaier für dessen ultrarechte Aussagen in Schutz – er sei ja “noch sehr jung” – und verteidigte später im Landtagsplenum eine blutige Abbildung Merkels, die ihr die Schuld am Berliner Weihnachtsmarkt-Attentat zuschrieb, als “krass, aber in der Sache dennoch richtig”. Und nach Björn Höckes “Denkmal der Schande”-Rede war es 2017 nicht Meuthen, sondern seine Kontrahentin Frauke Petry, die ein Ausschlussverfahren gegen Höcke durchsetzen wollte. Meuthen schwieg. Bis zum Einzug in den Bundestag hat er also – abgesehen von einem temporären, schnell wieder rückgängig gemachten Fraktionsaustritt – regelmäßig ignoriert, wie extrem Teile der Partei schon damals waren.

Scheinheiliger Kampf auf verlorenem Posten

Dass Meuthens Rolle in der Radikalisierung der AfD oft verkannt wird, liegt vor allem an seinen jüngeren Versuchen, die Entgleisungen mancher Abgeordneter öffentlichkeitswirksam abzustrafen. Ja, Meuthen hat sich zuletzt sogar mit einiger Kraft gegen den radikalen Kurs der Partei gewehrt. Aber sein “Umdenken” fand zufälligerweise erst dann statt, als die AfD mit ihrer bewusst grenzüberschreitenden Polemik schon ihren wichtigsten Etappensieg verzeichnet hatte – 2017, als sie in den Bundestag einzog. Dann klopfte plötzlich der Verfassungsschutz an und bedrohte den eingefahrenen Erfolg. Ernsthafte Konsequenzen zog Meuthen also erst, als es für eine gemäßigte AfD bereits viel zu spät war, als der Partei rechtlicher Ärger drohte – und als seine Tage als Vorsitzender ohnehin gezählt waren. Das war kein aufrichtiger Kampf gegen radikale Kräfte, sondern der Versuch, das eigene Image sauberzuhalten und zu kaschieren, dass er für den Erfolg jahrelang bewusst weggeschaut hatte.

Jetzt versucht Meuthen, sich aus der Verantwortung zu ziehen. Wer ihn aber jetzt noch als gemäßigten Politiker wahrnimmt, verkennt in fataler Weise, dass Meuthen dem rechtsextremen Wucher in der AfD über Jahre beim Wachsen zugesehen hat. Was er nun zurücklässt, ist ein ausgewachsener Organismus, der unsere Demokratie ernsthaft gefährden kann. Jörg Meuthen dafür in Schutz zu nehmen, ist eine grobe Verfehlung.