
Kommentar
Misogynie im Deckmantel der Fairness
Frauen mit vermeintlich “zu hohen” Testosteron-Werten erleben immer wieder Diskriminierung im Sport. Sie werden teilweise zu umstrittenen Geschlechtstests gezwungen. In den Medien wird dann oft ihre Weiblichkeit in Frage gestellt. Im Vordergrund steht dabei sportliche Fairness. Dahinter steckt meist Misogynie. Ein Kommentar von Josefine Hänsch.
Sexismus im Frauensport verändert sich. Bei der ersten Fußball-WM 1991 haben nur 510 000 Menschen zugeschaut. Zwar ist das öffentliche Interesse an Frauen im Sport deutlich gewachsen. Allerdings gibt es in den letzten Jahren immer wieder Meldungen, wie diese:
SWR: “Zu ‘männlich’ für den Frauensport?” (09.08.2024)
Welt: “Wenn der Testosteron-Überschuss einer Frau zum Sieg verhilft” (14.08.2023)
t-online: “Unfairer Vorteil im Sport? Wie es zu hohen Testosteron-Werten bei Frauen kommen kann” (03.08.2024)
Öffentliches Interesse und mediale Aufmerksamkeit für Frauensport: ja. Aber es sollen bitt’schön auch richtige Frauen sein. Das ist offenbar eine weit verbreitete Einstellung.
Nur “echte” Frauen im Frauensport?
Natürlich setzt sich das Geschlecht aus verschiedenen Komponenten zusammen: Chromosomen, Geschlechtsorgane, Hormone und allem voran natürlich das subjektiv empfundene Geschlecht. Schlagzeilen über “zu maskuline” Frauen erwecken allerdings den Eindruck, dass im Sport geschlechtliche Diversität unerwünscht ist. Im Namen der Fairness natürlich. Schließlich ist Testosteron ein Vorteil im Leistungssport. Aber wie fair ist das tatsächlich?
Faktencheck: Testosteron für alle
Testosteron ist kein exklusives Cis-Mann-Hormon. Auch Cis-Frauen produzieren Testosteron – in den Eierstöcken und Nebennieren. Wer viel Sport macht, produziert mehr Testo. Auch eine proteinhaltige Ernährung steigert die Produktion. Kein Wunder also, dass Sportlerinnen teilweise höhere Testo-Werte haben und so auch maskuliner wirken können.
Menschen mit viel Testosteron haben Vorteile beim Sport. Das gilt für alle Geschlechter. Viel Testosteron pusht den Muskelaufbau, macht leistungsfähiger und steigert die Risikobereitschaft. Daraus entsteht ein Vorteil – nicht nur für Frauen, auch für Männer.
Realitätscheck: Ausgrenzung nur für Frauen
Schlagzeilen wegen angeblich zu viel Testosteron gibt es allerdings nur im Zusammenhang mit Frauen im Sport. Hohe Testosteron-Werte bei Männern scheinen kein Problem zu sein. Dabei können Sportler genauso erhöhte Testosteron-Werte haben wie Sportlerinnen.
Der Leichtathletik-Weltverband World Athletics führt einen Geschlechtstest extra für Frauen ein. Per Wangenabstrich oder Bluttest soll überprüft werden, ob die Athletinnen den willkürlich festgelegten Weiblichkeitskriterien entsprechen. In Vergangenheit haben Tests wie diese dazu geführt, dass Frauen Medikamente nehmen mussten, um ihren Testosteronspiegel zu senken. Andernfalls wären sie disqualifiziert worden. Männer müssen diese Tests nicht machen.
Niemand würde sagen: “Mei, der Harry Kane schaut viel männlicher aus als die anderen Fußballer. Da müssen wir mal prüfen, ob er nicht vielleicht zu viel Testosteron hat! Der hätte ja sonst einen unfairen Vorteil.” Über Sportlerinnen fallen solche Aussagen immer wieder: Boxerin Imane Khelif, Fußballerin Barbra Banda, Dart-Spielerin Noa-Lynn van Leuven – das sind nur drei Frauen, denen ihre Weiblichkeit abgesprochen wurde, weil sie angeblich zu männlich seien.
Echte Fairness?
Moment mal – eine Dart-Spielerin? Was für einen Vorteil bietet Testosteron denn bei Darts? Der starke Muskelaufbau? Die hohe Risikobereitschaft? Könnte es sein, dass es bei der Debatte um hohe Testosteron-Werte im Frauensport in erster Linie gar nicht um Fairness geht? Geht es in Wahrheit darum, dass Männer gerne feminine Frauen beim Sport sehen wollen? Sind Misogynie und trans*Feindlichkeit der Ursprung der Testo-Debatte?
Ausgrenzung wegen hoher Testosteron-Werte, gerechtfertigt mit vermeintlicher Fairness. Bräuchten wir nicht ganz andere Maßnahmen, um Fairness im Frauensport zu schaffen? Zum Beispiel gleiche Bezahlung, gleiche Nachwuchsförderung, gleiche mediale Aufmerksamkeit.