Um Transformation dreht sich viel bei Kae Tempest, oder vielmehr vielleicht um Formation: Im Jahr 1985 in Brockley in Großbritannien geboren scheint Musik-Artist Kae Tempest buchstäblich für die Bühne geschaffen. Rap, Poetry Slam, und Theaterstücke zählen genauso zu Tempests Werk wie mehrere Gedichtsammlungen und ein Roman. Mit dem nun fünften Studioalbum „Self Titled“ nimmt sich Tempest einem ganz persönlichen Wendepunkt im Leben an: Dem Weg der Selbstfindung von der rauen Kindheit auf den Straßen Südlondons bis zum Coming-Out als nichtbinäre Person im Jahr 2020.
ZWISCHEN KAPITALISMUSKRITIK UND QUEERER REVOLTE
„If you turn your back on the light for too long / The light doesn’t die, it just stops trying to find you.“
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Tempests Album ist vor allem eines: Offen und unentschuldigt politisch. In dieser Hinsicht lässt sich „Self Titled“ auch nicht bestreiten oder beschwichtigen und ist dabei gleichermaßen tröstend und bewegend, gleichzeitig innerlich ruhend und nach außen hin unnachgiebig. Reflexionen globaler und soziopolitischer Krisen reihen sich ebenso in den Themenkomplex des Albums wie Dekonstruktionen gesellschaftlicher Ungleichheiten und Diskriminierungserfahrungen. So etwa auch auf der beißend-emotionalen Single „Statue In The Square“, mit der Tempest für die Dekonstruktion festgefahrener gesellschaftlicher Strukturen von Identität und Gender argumentiert und schonungslos mit eigenen Erfahrungen der Transphobie räsoniert:
„You are not the sum of the things you do wrong / In the eyes of someone who does not understand you / It’s not a disorder or a dysfunction / disgusting, the way they discuss us.“
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Die Hauptaussage des knapp dreiminütigen Rap-Stücks: Identität sei nichts Pathologisierbares, nichts Diagnostizierbares, nichts im Einklang mit Regeln und gesellschaftlichen Normen Unterzuordnendes. Vielmehr sei Identität ein Beweis der eigenen gelebten Individualität, der Treue zu sich selbst, ein persönlicher Entwurf aller eingeschlagenen Lebenswege.
DAS INNERE KIND UNTER DER LUPE
„I used to be a boy when I was young / Then I hit puberty, I had to be a girl. / I really, really tried to become / someone who belonged in the world.“
Nicht nur „Self Titled“ ist das Album, sondern auch selbstgerichtet, denn das mit zwölf Titeln gut vierzigminütige Album scheint Tempest zuallererst an sich selbst zu richten. Ungeschönt berichtet Tempest von der teils traumatischen Jugend in der Londoner Rap-Szene, dem eigenen künstlerischen Werdegang und den mit dem Künstler:innendasein verbundenen Ängsten und Unsicherheiten. Dabei nie komplett im Hintergrund: Die Hoffnungsmomente, die auch an den dunkelsten Stellen des Albums in von Jazz-, Electro-, und Hip-Hop beeinflussten Backing Tracks immer Teil des musikalischen Themas bleiben und den im Text laut werdenden Ängsten zuversichtlich den Wind aus den Segeln nehmen.
„I just wanna be someone the child I used to be could believe in.“
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Allem vorangestellt und sich als gemeinsames Thema durch alle Tracks des Albums ziehend steht Tempests ausdrücklicher Wunsch, den Bedürfnissen des eigenen inneren Kindes zu genügen. Tempest möchte als Vorbild auftreten, sich selbst retrospektiv beweisen, dass das Leben die Resilienz wert ist. Die sich im Album spiegelnde Künstlerpersönlichkeit tritt dabei als frei formbarer fiktiver Charakter in Aktion, immerzu aufmerksam die eigene Umwelt beobachtend, in Frage stellend, beizeiten zynisch kommentierend. Die Instabilitäten queerer Identität, das NichtDazugehören, das sich-in-Frage-stellen: Alles erkennt Tempest an, legt den Stift in die Wunde und schreibt sich den Schmerz einer unperfekten Welt von der Seele.
MUST LISTEN
I Stand On The Line Forever Bless The Bold Future Breathe Sunshine on Catford