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M94.5 Filmkritik

Der Klavierspieler vom Gare du Nord

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Regisseur Ludovic Bernard schließt mit seinem neuesten Film „Der Klavierspieler vom Gare Du Nord“ an die beliebte Reihe der Musikfilme wie „Die Kinder des Monsieur Mathieu“ oder „Wie im Himmel“ an und verbindet dabei die Musikthematik zugleich mit dem Genre des modernen Gesellschaftsdramas.

Den Anfang bildet ein Klavier – nicht irgendeines, sondern das Klavier für Jederman in der großen Halle des Gare Du Nord in Paris. Dort setzt sich von Zeit zu Zeit der 20-jährige Mathieu Malinksi in schwarzem Kapuzenpulli hin und spielt eine Bachfuge, immer in Hab-Acht-Stellung, dass ihn die Polizei nicht entdeckt. Mathieu kommt aus den Pariser Vororten, lebt dort mit seiner alleinerziehenden Mutter, einem kleinen Bruder und mit wenig Zukunftsperspektive. Die Musik – sein Zufluchtsort in der Kindheit – konnte er aus Geldgründen nicht weiterverfolgen.

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Musik, Träume und das Arbeiten für das eigene Glück: davon handelt Der Klavierspieler vom Gare Du Nord.

Was Regisseur Ludovic Bernard hier subtil und ohne ausgestrecktem Zeigefinger zeigt, ist, wie die äußeren, sozialen Umstände auch die innere Einstellung zu den eigenen Träumen determinieren. Und so schreibt Mathieu das Klavierspielen ab, nicht mal seine Freunde wissen von seinem Talent. Sein altes Klavier in seinem Zimmer ist zugestellt. Er vertreibt sich die Zeit mit Nichtstun und schlägt sich sonst mit kleinen Einbrüchen durch.

Das Genie aus den Banlieues von Paris

Dynamik erhält die Ausgangskonstellation, als Pierre Geitner – der Leiter des Pariser Konservatoriums – Mathieu am Gare Du Nord spielen hört und in ihm etwas entdeckt, was er selbst fast vergessen hatte: Die unversiegbare Liebe zur Musik, die sich unter den widrigsten Bedingungen ihren Weg bahnt, und die tiefe Empfindsamkeit des Spiels. Mathieu soll an einem Exzellenzwettbewerb für das sich in der Krise befindlichen Konservatorium teilnehmen. Nur entpuppt sich dieser bei dem Aufeinandertreffen der verschiedenen Welten als widerspenstiges Ziehpferd. Dabei stehen ihm seine eigenen Selbstzweifel am meisten im Weg.

Mehr als das Musikfilmklischee

Was handlungstechnisch einigermaßen – und vermutlich gewollt – klischeehaft daherkommt, wird auf der anderen Seite durch die Art des Erzählens aufgewogen. Der Klavierspieler vom Gard Du Nord ist ein sanfter Film, der mit leisem Humor und subtiler Tiefe mehrere Themen miteinander verbindet. Inhaltlich wird Mathieus Geschichte mit der von Geitner und der Klavierlehrerin Buckingham kontrastiert. Sie versuchen, Mathieus Ausbruchsversuche immer wieder abzufangen, und ziehen zugleich selbst eine Lehre aus der Begegnung mit dem jungen Mann.

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So behandelt der Film die Frage nach den eigenen Träumen und dem eigenen Talent im Spannungsfeld zwischen sozialer Determination und Eigenverantwortung, von Leidenschaft und Disziplin. Die Qualität von Der Klavierspieler vom Gard Du Nord liegt gerade darin, dass diese Frage nicht nur auf Mathieu, sondern auf die Lebenssituationen aller Figuren übertragbar ist. Herausragende Kunst entsteht im Mittel zwischen Empfindsamkeit und rationaler Arbeit – ebenso wie das Lebensglück auch.

Komposition von Musik und Bildsprache

Die Handlung wird dabei von einer herausragenden Filmmusik getragen, die das Aufeinandertreffen der klassichen Welt mit der Straße aufnimmt. So mischt sich klassische Musik mit HipHop Beats. Und auch die Bildkomposition ist durchdacht: Ähnlich einer klassischen Klavierfuge von Bach spielt der Film auf visueller Ebene mit wiederkehrenden Bildsequenzen, wie die zahlreichen Einstellungen auf die für das Klavierspiel so wichtigen Hände und das wohlbedachte Spiel von Licht und Dunkel durch den Film hindurch.

Alles in allem ein gelungener und anrührender Film, der sogar tiefere Einblicke in das Leben und die Kunst bereithält, für all diejenigen, die hinter die Fassade des Musikfilmklischees blicken wollen.

“Der Klavierspieler vom Gare du Nord” läuft ab dem 20. Juni 2019 in den Kinos.