M94.5 Filmkritik

Digitale Putzkräfte

/ / Bild: © gebrueder beetz filmproduktion

Die Doku „The Cleaners“ zeigt den Alltag derjenigen, die das Internet für uns sauber halten – und welche Konsequenzen das für die reale Welt hat.

Kinderporno, Selbstverletzung, Enthauptung, totes Flüchtlingskind. Ein schier bodenloser Abgrund tut sich auf vor müden Augen, die kaum mehr mit der Wimper zucken. Terrorismus, Missbrauch, Gewalt. Pro Post sind es zwei Sekunden: „delete or ignore“, löschen oder ignorieren. 25.000 Posts pro Tag. Enthauptung, Selbstmord, Kinderporno. Jeden Tag.

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Trailer zu The Cleaners.

Abstumpfung für den Einzelnen

The Cleaners zeigt anonyme Silhouetten in düsteren Großraumbüros, erkennbar lediglich durch den blechernen Schein des Computerbildschirms. Das schockierende Material, das hier im Sekundentakt gesichtet und entweder gelöscht oder ignoriert wird, wird nicht gezeigt – nur mit monotoner, leiser Stimme beschrieben von denjenigen, die es bearbeiten. Eine nie versiegen wollende Galerie menschlichen Abgrunds, die da an den „Content Moderators“ vorbeirauscht. Die Ästhetik dieser Szenen, heimlich gefilmt und doch ganz klar durchkomponiert, erinnert an film noir, alles ist düster, bedrohlich, begleitet von unheilvoller Musik.

Diese Aufmachung fühlt sich mehr an wie ein Thriller als eine Doku und funktioniert als Stilmittel nur bedingt. Was zu Beginn die Unfassbarkeit des Materials und des in Hinterzimmern versteckten Vorgehens untermalt, unterwandert schließlich die Ernsthaftigkeit dessen, was hier gezeigt wird. Auf Dauer wirkt die Thriller-Ästhetik überdramatisiert, fast effekthascherisch.

Abstumpfung für alle

Die Einzelschicksale sind das Eine. The Cleaners gewinnt beeindruckenden Zugang zu Menschen, die im Geheimen arbeiten müssen, weil ihre Verträge es verbieten, dass sie über ihre Arbeit sprechen. Sie werden weder ausgebildet, noch psychologisch betreut. Zeit zur Verarbeitung bleibt ihnen nicht und für eine fundierte Entscheidung sowieso nicht. Oft sind es Billigkräfte in wirtschaftlich benachteiligten Ländern, tausende von Kilometern entfernt von denjenigen, deren Posts sie beurteilen sollen.

Vom persönlichen wechselt der Film schließlich zum politischen Kontext. Was kann es denn für freie Meinungsäußerung und öffentlichen Diskurs bedeuten, wenn genau diese Menschen das Internet zensieren? Die Entscheidung darüber, was online gezeigt oder gesagt werden darf und was nicht, liegt bei keinem Staat, sondern bei einer Handvoll Privatkonzernen. Schlimmer noch: Bei einzelnen Mitarbeitern dieser Privatkonzerne, denen ganz grobe Richtlinien und viel zu große Grauzonen an die Hand gegeben werden, durch die sie ohne jeden kulturellen Bezug und nur mithilfe ihrer eigenen subjektiven Meinung und politischen Ausrichtung navigieren müssen. Moralisches Outsourcing als systemisches Versagen: The Cleaners prangert sie alle an, Facebook, Google, YouTube, Twitter. So kann es nicht weiter gehen. Aber was dann?

Durchweg unbefriedigend

Hans Block und Moritz Riesewieck, die beiden Regisseure hinter dem Projekt, haben sich bereits vor The Cleaners ausführlich mit dem Thema auseinandergesetzt. Riesewieck hat auch schon ein Buch darüber geschrieben (Digitale Drecksarbeit: Wie uns Facebook und Co. von dem Bösen erlösen). Dennoch scheint ihnen beiden die Antwort zu fehlen. Sie illustrieren sehr eindrücklich, fesselnd, wenn nicht gar verstörend, welchen Einfluss diese unbedachte Form der Zensur haben kann; auf politische Verhältnisse, gesellschaftliche Strukturen, Kriege.

Damit lassen sie den Zuschauer aber unbefriedigt und hilflos zurück, denn eine einfache Lösung gibt es nicht. The Cleaners prangert an, regt sicher auch zum Nachdenken an, aber liefert keine konkrete Alternative. Fast gewinnt man das Gefühl, die Regisseure hoffen, in fünfzig Jahren könne man auf das Material zurück schauen und sagen: „Das war der Wendepunkt, wir haben es gerade rechtzeitig aufgehalten“. Oder aber, ähnlich pathetisch, nur weniger optimistisch: „Wir haben euch doch gewarnt“.

„The Cleaners“ läuft ab 17. Mai 2018 bundesweit in den Kinos.