Filmkritik

Der schlimmste Mensch der Welt

/ / Bild: Oslo Pictures

Der schlimmste Mensch der Welt (2022) kommt wie viele Romcoms daher: Eine Frau ist in einer Beziehung, lernt aber währenddessen einen anderen Mann kennen. Hat der Film aber auch mehr als nur diese simple Liebesgeschichte auf Lager?

Julie (Renate Reinsve) wird alles zu viel: Ihr Vater interessiert sich nicht für sie, ihr Freund Aksel (Anders Danielsen Lie) ist ein Sexist und ihr aktueller Job in der Buchhandlung ödet sie an. In solchen Momenten wünschen sich viele einfach mal den Pause-Knopf drücken zu können, um den ganzen Stress zu vergessen. Nur klappt das im Film sogar. Die Welt steht still – nur Julie nicht. Denn sie hat ein Ziel: Eivind (Herbert Nordrum), den netten Kerl von der letzten Party wieder zu sehen, der ihr einfach nicht mehr aus dem Kopf gehen will. So rennt sie durch die Straßen von Oslo, in denen die Zeit keine Rolle mehr spielt. Das Gefühl, jede freie Minute mit dem oder der Partner:in verbringen zu wollen und alles drum herum auszublenden, kennen wahrscheinlich viele frisch Verliebte. Ist Der schlimmste Mensch der Welt also wieder nur einer von vielen Liebesfilmen?

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Reine Romcom oder mehr? – Der Trailer zu Der schlimmste Mensch der Welt

Romantik pur: Furz-Flirt auf dem Klo

Doch der Schein trügt, denn so kitschig wie andere Liebesfilme kommt Der schlimmste Mensch der Welt nicht daher. Viel eher zeigt Regisseur Joachim Trier (Thelma, Louder Than Bombs) auch mal die Schattenseiten einer Beziehung. Egal ob Probleme bei der Kinderplanung, toxische Männlichkeit oder das langsame Auseinanderbrechen einer Beziehung – einen kuschligen feel-good-Film setzt uns Trier hier nicht vor. Ganz so unromantisch ist der Film dann aber doch wieder nicht. Dabei vermeidet Der schlimmste Mensch der Welt aber auf humorvolle Art und Weise das Abdriften in den Kitsch. Wenn sich Julie und Eivind bei einer Party annähern, dann endet das eben nicht in einer 08/15-Kussszene, sondern mit ein paar Fürzen auf dem Klo. Das ist so unvorhersehbar wie unkonventionell und hebt den Film aus der Masse heraus. Die diesjährigen Oscarnominierungen als bester fremdsprachiger Film und für das beste Originaldrehbuch überraschen also definitiv nicht.

Ein kurzer Flirt zwischen Eivind (Herbert Nordrum) und Julie (Renate Reinsve) am Arbeitsplatz/Bild: © Oslo Pictures

Wenn Cancel Culture auf Romcom trifft

Ein weiterer Grund, wieso sich Der schlimmste Mensch der Welt von vielen anderen Romcoms abheben kann, ist seine Themenvielfalt. Wenn nicht #metoo im Vordergrund steht, dann ist es eben die Cancel Culture oder toxische Maskulinität. Gleichzeitig liegt hier aber auch das Hauptproblem des Films. Er will zu viel, anstatt sich auf seine süße und charmante Liebesgeschichte zu konzentrieren. Das ist vor allem gegen Ende bemerkbar, wenn Trier ein Thema nach dem anderen in den Ring wirft und dann selber nicht so ganz weiß, wie er das Ganze jetzt beenden soll. Deswegen fühlt sich gerade die zweite Hälfte des Films so an, als ob der Regisseur hier einfach nur sehr viel anreißt, anstatt eine Sache konsequent zu Ende zu führen. Selten hat die Devise “Weniger ist mehr” bei einem Film besser gepasst, als bei Der schlimmste Mensch der Welt.

Von verletzten Männeregos und Rabenvätern

Dieses Zu-viel und zeitgleich Zu-wenig zeigt sich auch in den Figuren. Denn abseits von der vielschichtigen Julie bekommen die anderen Charaktere meistens keine wirkliche Tiefe. Da gibt es beispielsweise den Vater, dem seine Tochter völlig egal ist oder den Partner, der denkt, er wäre der Größte – so weit, so bekannt. Doch damit stolpert Trier über sein eigentliches Vorhaben: So wird Julies Freund Aksel mit jeder Minute des Films unsympathischer. Doch dann will der Film am Ende plötzlich Mitgefühl für genau diesen toxischen Menschen erzeugen, der seine Freundin lieber gaslighted als sie zu unterstützen. Das dann mit der komplizierten Gefühlslage von Julie zu erklären, ist leider zu einfach, selbst wenn die Zuschauer:innen beide Augen zudrücken.

Am Ende lässt Der schlimmste Mensch der Welt die Zuschauer:innen also mit gespalteten Gefühlen den Kinosaal verlassen. Einerseits besitzt er viele süße Momente, die so gut wie nie in den Kitsch abdriften. Auch die grundlegende Liebesgeschichte kann durch ihre unkonventionelle Art überzeugen. Andererseits will der Film zu viel auf einmal und liefert dafür am Ende doch zu wenig. Für Leute, die endlich mal wieder eine gute Romcom sehen wollen, die ein wenig anders daherkommt, ist Der schlimmste Mensch der Welt aber auf jeden Fall einen Blick wert.

Der schlimmste Mensch der Welt startet am 02.06.2022 im Verleih von Kochfilms in den deutschen Kinos.