M94.5 Kulturkritik

Das Leben des Vernon Subutex

/ / Bild: Arno Declair

Ein Artikel von Bettina Jech.

Eine Überlegung vorab: Muss man das Buch gelesen haben, bevor man sich die Theaterinszenierung anschaut? Bei Verfilmungen versperrt einem die Lektüre beizeiten ja den freien Blick – und inwieweit eine Inszenierung sich an die Vorlage halten muss, sei dahin gestellt. Trotzdem ist mir etwas mulmig, dass ich die Roman-Trilogie „Das Leben des Vernon Subutex“ von Virginie Despent, dieses als modernes Sittengemälde hochgelobte Werk nicht gelesen habe. Dafür habe ich mir vor der Premiere in den Kammerspielen diverse Interviews mit der Autorin angeschaut. Und eines ist klar: Im Buch wird der gesellschaftliche Absturz verhandelt. Blüht mir also ein nachdenklich-deprimierender Abend?

Musik als Magie

Eine Überraschung gleich zu Beginn: Vernon Subutex, der ehemalige Plattenladenbesitzer und DJ-Held der Geschichte, der bei der gender-bewussten Virginie Despent extra als Mann angelegt ist , wird in der Inszenierung von Stefan Pucher von einer Frau gespielt: der Jazzsängerin Jelena Kuljić. Und damit ist die Marschrichtung auch schon eingeschlagen: An diesem Abend wird viel gesungen – von fast allen Schauspielern. Es geht hier auch und vor allem immer wieder um Musik. Um deren magisches Potential für die meist nicht mehr ganz jungen Gestalten (wie Vernon um die 50), die die Treppen eines amphietheaterartigen schwarzen Bühnenbildes bevölkern.

Exzentrische Charaktere

Per Video-Clips werden sie uns bei Betreten der Bühne vorgestellt: ein Rockstar, der an einer Überdosis gestorben ist; eine einsame Jugendfreundin von Vernon; ein verkrachter Drehbuchautor; eine muslimische Jura-Studentin, deren Vater, ein resignierter eingewandeter Professor ist; ein Ex-Pornostar, der Erziehungsbücher schreiben will; ein koksender Trader; eine Sexbesessene, die schon als Kind in Vernons Plattenladen war; ein skrupelloser Filmproduzent, der eine Privatdetektivin engagiert, die sich auf Cyber-Mobbing spezialisiert hat und gegen die Fortpflanzung ist; eine Obdachlose, die Hunde liebt.

Früher war alles besser

Sie alle schleudern dem Publikum in Monologen ihre mehr oder weniger verbitterte Haltung gegenüber den modernen Verhältnissen entgegen. Und sie alle kennen Vernon von früher, aus einer Zeit, als er mit seinem Plattenladen noch so etwas wie ein Fürst war, der in seinem popkulturellem Place to be residierte. Die Zeiten sind lange vorbei: Schuld ist das Internet. Jetzt konfrontiert Vernon seine Ex-Freunde und –Kunden damit, dass er keine Wohnung mehr hat – und ein paar Tage bei ihnen unterkommen möchte.

Kein roter Faden

Und die Handlung? Vage bahnt sich so etwas wie ein Krimi an, weil Vernon brisante Video-Bänder des verstorbenen Rockstars Alex mit sich herumschleppt. Aber für echte Spannung sorgt das dann doch nicht. Die Höhepunkte an diesem Abend sind die Gesangseinlagen. Am Ende steht die Einsicht, dass früher alles – auch die Musik – besser war. Und es gibt die Botschaft, dass es das gemeinschaftliche Erleben von Musik ist, das uns in Zukunft retten kann.

Zu stylisch und glatt

Fazit: Von wegen nachdenklich-deprimierend. Ein ziemlich stylisch inszenierter Abend, der die Pop-Kultur feiert. Am Ende ist es der Rave, der uns rettet… Und so toll die Schauspieler: neben Jelena Kuljić, Wiebke Puls, Annette Paulmann oder Thomas Hauser spielen, so wenig berühren die Figuren tiefer, die sie darstellen.

Und noch eine Überlegung hinterher: Bei all dem Lob, mit dem Virginie Despents Roman überschüttet wurde, kann ich kaum glauben, dass diese Inszenierung ihm gerecht wird. Ich werde mir das Buch besorgen müssen.

“Das Leben des Vernon Subutex” feierte am 28. März in den Kammerspielen Premiere