Buchkritik

Cinema Speculation

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Reservoir Dogs, Pulp Fiction und Inglourious Bastards – alles moderne Klassiker unter der Regie von einem Mann: Quentin Tarantino. Doch seit seinem letzten Film, Once Upon a Time in Hollywood vor drei Jahren ist es filmisch gesehen ruhig um den Regisseur geworden. Aus literarischer Sicht aber ganz und gar nicht! Ob Tarantinos erstes non-fiktionales Werk Cinema Speculation genauso gut wie seine Filme ist?

“Der kleine Q guckt die grossen Filme”. Was wie der Titel eines Pixie-Buchs aus der Wühlkiste klingt, ist in Wahrheit der Beginn von Quentin Tarantinos neuestem Werk Cinema Speculation. Nachdem sich der Starregisseur bereits vor zwei Jahren mit Once Upon a Time in Hollywood in die Welt der Literatur wagte, behandelt das Buch dieses Mal aber nicht die bloße Nacherzählung eines seiner Filme, sondern die Aufarbeitung seiner Kindheit. Die Leser:innen dürfen aber keinen Abriss über das gesamte frühere Leben von Quentin Tarantino erwarten. Viel eher begeben wir uns mit dem Regisseur auf eine Reise durch die Filme, die ihn noch weit über seine Kindheit hinaus geprägt haben. Etwa Klassikern wie Dirty Harry mit Clint Eastwood bis zum Blaxploitaton-Hit Black Gunn mit Jim Brown.

Mehr Filmwissen geht nicht!

Die Freude am Kinogang als auch die generelle Liebe zum Medium Film ist dem Regisseur und damit Cinema Speculation in fast jedem Satz anzumerken. Egal ob Cinephile:r oder nicht, wenn Tarantino davon erzählt, wie begeistert er war, von seinen Eltern in Filme für Erwachsene mitgenommen zu werden, geht einem das Herz auf. Im Gegensatz zu anderen Regisseuren wie Kenneth Branagh mit Belfast, schwingt Tarantino hier aber nicht wirklich mit der Nostalgiekeule. Stattdessen übt er an den Filmen seiner Kindheit auch harte Kritik, was teils sehr an eine Filmkritik erinnert. Über die knapp 400 Seiten von Cinema Speculation werden wahrscheinlich auch in etwa genauso viele Filmtitel genannt. Das mag am Anfang noch erstaunlich sein und zeugt unbestreitbar von Tarantinos Filmwissen. Spätestens nach 50 Seiten beginnt diese Vorgehensweise aber enorm anstrengend zu werden und fühlt sich eher nach forciertem, sogenannten “name dropping” an, um auch ja allen Leser:innen zu zeigen, wie viel Filmwissen in diesem Werk steckt.

Weil ich Sachen sehen durfte, die sie [Tarantinos Mitschüler:innen, Anm.d.A.] nicht zu sehen bekamen, hielten mich meine Klassenkameraden für mondän. Und weil ich die anspruchsvollsten Filme der großen Ära in der Geschichte Hollywoods schaute, hatten sie damit ganz recht.

Quentin Tarantino: Cinema Speculation, Köln 2022, S.21.

Verspekuliert?

Was auf den ersten Blick wie ein spannender Einblick durch über zehn Jahre Filmgeschichte wirkt, hat im Verlauf aber immer wieder einige gravierende Probleme. Generell kommt beim Lesen immer wieder das Gefühl auf, dass Tarantinos Ego das ein oder andere Mal vielleicht doch ein wenig zu penetrant in den Vordergrund tritt. Schon seit Jahrzehnten ist klar, dass der Mann Ahnung von seiner Sache hat, aber manchmal ist die Devise “Weniger ist mehr” gar nicht so verkehrt. Denn immer wiederkehrende Aufzählungen von zig (un)bekannten Filmen, um ein Argument zu untermauern, ist auf Dauer eher ermüdend als spaßig.

Cinema Speculation oder Kino-Spekulationen?

Doch den persönlichen Schreibstil Tarantinos bekommen die Leser:innen gerade in der deutschen Übersetzung nicht immer mit. Denn bei der Übertragung vom Englischen ins Deutsche geht eben doch einiges von Tarantinos einzigartiger Handschrift verloren. Bei Romanen mag das vielleicht weniger auffallen, bei einem Autor wie diesem hier wirken einige Textpassagen aber seltsam unnatürlich und eher befremdlich als spaßig gemeint. Den größten Fauxpas leistet sich die Übersetzung aber bei den Filmtiteln. Wie bereits erwähnt, hat der Autor eine fast schon kindliche Freude, so viele Filme wie möglich in den Ring beziehungsweise ins Buch zu werfen. Der Verlag entschied sich aber in der Übersetzung dafür, bei jedem Filmtitel noch einmal den deutschen Titel dahinter zuschreiben. So entstehen enorme Schachtelsätze, die das Lese-Vernügen eher verkleinern als fördern.

Die Gewaltsequenzen in New-Hollywood-Filmen wie The French Connection, Busting (dt. Spur der Gewalt), Dillinger (Jagd auf Dillinger), The Mechanic (dt. Kalter Hauch), Coffy, Straw Dogs (dt. Wer Gewalt sät), Point Blank (dt. Point Blank – Keiner darf überleben) und Rolling Thunder (dt. Der Mann mit der Stahlkralle) wurden schon ein bis zwei Jahrzehnte zuvor in Siegel-Filmen wie The Duel at Silver Creek (dt. Schüsse in New Mexico), Riot in Cell Block II (Terror in Block II), Baby Face Nelson (dt. So enden sie alle), Private Hell 36 (dt. Hölle 36),The Line Up (dt. Der Henker ist unterwegs), Flaming Star (dt. Flammender Stern) und The Killers (dt. Rächer der Unterwelt) vorgenommen.

Quentin Tarantino: Cinema Speculation, Köln 2022, S.54-55.

Dirty QT

Das sind Punkte, die gerade im ersten Moment einige Leser:innen mit Sicherheit abschrecken können. Wer aber bereit ist, unter anderem über Tarantinos name-dropping hinwegzusehen, bekommt hier wahrscheinlich eines der umfangreichsten und leidenschaftlichsten geschriebenen Bücher über die Filme der 70er. Das ist nicht nur für all diejenigen ansprechend, die neues Futter für ihre Watchlist brauchen, sondern auch für die, die besonderes Hintergrundwissen über teils legendäre Filme wie The Getaway bekommen wollen. Wenn Tarantino etwa davon schreibt, was ihm Neile McQueen, die Ehefrau des Schauspielers Steve McQueen, über die Angewohnheiten ihres Mannes erzählte, ist das überaus charmant und informativ zugleich.

(K)eine wissenschaftliche Lektüre?

Zeitgleich kann es Tarantino aber auch nicht lassen, fast schon wie ein:e Filmkritiker:in den ein oder anderen Film in Grund und Boden zu stampfen, während er andere als “eine[n] der bestinszenierten Filme aller Zeiten” bezeichnet. Das mag vielleicht auf den ersten Blick nervig sein, hebt das Buch aber auch von allzu wissenschaftlichen Veröffentlichungen ab. Denn statt nur trocken jeden Film nacheinander abzuhacken, fühlt sich Cinema Speculation so an, als hätte ein Cineast den Versuch unternommen, jeden Film so detailliert wie möglich darzustellen, ohne aber zu vergessen, immer auch seine Meinung dazuzugeben.

DAS Geschenk für Cineast:innen?

Cinema Speculation ist also allen voran für Tarantino-Anhänger:innen gedacht, denn einen objektiven und wissenschaftlichen Blick auf die vorgestellten Filme dürfen die Leser:innen nicht erwarten. Stattdessen bekommen alle Interessierten einen einzigartige Reise durch die Welt des Films der 70er geboten. Trotzdem sei allen, die des Englischen mächtig sind, die englische Originalfassung ans Herz gelegt, um keine Abstriche machen zu müssen. Wenn die Liebe fürs Kino in ein Buch passen würde, dann am ehesten in diesem Buch – trotz allen Problemen, die Tarantinos Schreibstil mit sich bringt. Für alle, die einen etwas anderen, aber in den meisten Fällen spannenden Einblick in die Welt des längst vergangenen Films wollen eine Empfehlung!

Cinema Speculation von Quentin Tarantino ist am 02.November im KiWi-Verlag als Hardcover-Ausgabe erschienen. Für 26 Euro gibt es das Buch überall zu kaufen.