Filmfabrik vom 19.11.2025
Festival of Future Storytellers 2025
In der Filmfabrik wird jede Woche die Film- und Serienwelt unter die Lupe genommen. Mit Kritiken zu Kino- und Streamingstarts seid ihr immer auf dem Laufenden. Neben den wichtigsten Neuigkeiten haben in der Filmfabrik aber auch Klassiker und Blicke hinter die Kulissen Platz.
In dieser Sondersendung widmen sich unsere Moderatoren Lorenz Beckmann und Luis Kirchner dem Festival of Future Storytellers . Im Interview spricht die Regisseurin Nora Marris über ihren Kurzfilm “Every Man in New York is named Andrew” und ihr Wirken als Regisseurin. “Faustyna ” von Natalia Dutkiewicz ist nach einer polnischen Heiligen benannt und befasst sich mit den Themen Weiblichkeit und Sexualität. Regisseur Adrian von der Borch ist mit “Days of Night” ein sensibles Coming of Age Porträt gelungen, das seinesgleichen sucht. Das alles und noch viel mehr haben wir hier für euch zusammengetragen!
Sila
Ein kleines palästinensisches Mädchen steht am Straßenrand. Auf ihrem Rücken sitzt ein pinker Rucksack. In ihren bittenden Händen liegt eine Kaugummipackung. “Kannst du einen kaufen” fragt sie. “Er ist wirklich gut. Fünf Shekels”, sagt sie. Das Betteln am Straßenrand ist längst zur Routine geworden.
Sila ist 12, vielleicht 13 Jahre alt. Weil sie ihre Familie finanziell unterstützen muss, wandert sie in Bissan Tibis gleichnamigem Kurzfilm zielstrebig von Auto zu Auto, immer auf der Suche nach ein wenig Kleingeld. Normalerweise ist Sila deshalb allein, bis sie auf den gleichaltrigen Yusuf trifft. Eine zögerliche Freund:innenschaft entsteht. Zumindest einen Tag lang. Denn wahre Solidarität gibt es kaum, wenn es um das eigene Überleben geht. Eine bittere Wahrheit, die Tibis Kurzfilm völlig ungeschönt festhält. In langen Einstellungen nimmt die Kamera Silas schwierigen Alltag genau unter die Lupe. Harte Cuts spiegeln einen desorientierenden, hektischen Lebensrhythmus wider, der die Zuschauer*innen ebenso zermürbt, wie es das ständige Dröhnen des Straßenverkehrs und das unerbittliche „Nein, danke“ von unzähligen Erwachsenen tut, die nicht helfen können oder wollen.
Tibis jüngste Regiearbeit mag zwar ein fiktives Drama sein, doch die spannungsgeladene Atmosphäre ihres Kurzfilms entfaltet eine spürbar-emotionale Wirkmacht – und erinnert einmal mehr an die sozialen Herausforderungen unserer Zeit: Noch heute leben mehr als 380 Millionen Kinder weltweit in Armut. Ohne Bildung, ohne Nahrung, ohne Zuhause und ohne Geborgenheit. Jael Gallert
Amos, Vogel
Regisseur Inaki S.G. Miranda schafft mit „Amos, Vogel“ einen kunstvollen und melancholischen Film, der in knapp 20 Minuten den Protagonisten Amos bei seinen Erinnerungen an seinen Freund Vogel begleitet. Dabei behandelt der Kurzfilm Themen wie Vergänglichkeit, Trauer und Liebe auf subtile und feinfühlige Art, die die Zuschauer:innen innehalten lässt. Besonders effektvoll wirkt dabei die Kameraarbeit: Bewusst gesetzte Fotografien werden als Stills eingeblendet und lassen damit die Zeit stoppen. Auch Bewegungsunschärfe dient als Stilmittel – so verschwommen und unklar die gemeinsamen Momente durch das verwischte Bild eingefangen werden, so formbar sind auch die Erinnerungen an die Erlebnisse. „Amos, Vogel“ ist eine mexikanische Produktion und wird im spanischen Originalton mit englischem Untertitel gezeigt. Alina Blank
That Summer I Got Accepted into University
Vogelzwitschern, ein grüner Wald und dann: ein Schuss.
Von hier an ist alles schwarz-weiß. Zwei Jungen verbringen gemeinsam ihren Sommer in einem Sommerhaus in Russland. Obwohl der Film in der Gegenwart spielen soll, wirkt die erzählte Geschichte wie aus der Zeit gerissen. Vielleicht trägt das flimmernde Bild wie von einer analogen Filmkamera zu diesem Eindruck bei. In den 29 Minuten des Kurzfilms handeln die beiden Hauptcharaktere ihre Konflikte und die Erwartungen, die auf ihnen Lasten sehr unterschiedlich aus.
Sie Raufen miteinander, stehen schreiend am Feuer, starren aber auch grübelnd in die Ferne. An solchen Stellen erinnert der Film dann eben doch wieder an eine Coming of age Geschichte. In der Stille zwischen den Charakteren überträgt sich ihre Aufgewühltheit auf die Zuschauer:innen. Ella Butz
Do Something
“Hello, my special little Helpers…as you all know, we are currently in a state of dehydration. Brian, the Brain is not responding, so I need one of you to go to him, figure out, what’s wrong and convince him to drink that fucking glass of water…”
Habt ihr euch schonmal gefragt, wie es wäre ein rotes Blutkörperchen in einem menschlichen Körper zu sein? Nein? Dann wird es jetzt Zeit, und zwar mit dem Animationsfilm „Do Something“ von Sofia Živković . Hauptcharakter BC12 ist ein rotes Blutkörperchen, das man sofort ins Herz schließt. Nun muss es also zu Brian the Brain reisen, um ihn dazu zu überzeugen ein Glas Wasser zu trinken. Die Animation des Films wirkt liebevoll handgemacht und die verschiedenen Organe bekommen durch das passende Voice-Acting ihre ganz eigenen Charaktereigenschaften. „Do Something“ ist ein Animationsfilm mit Herz, Witz und Tiefe, der richtig Spaß macht. Louisa Schöffmann
Days of Night
Luna hat große Träume. Eine Vorstellung von einem ganz anderen Leben. Sie lebt mit ihrem Freund Marius auf der Straße und verdient ihr Geld durch Prostitution. Doch als sie eines Abends von einem Freier zurückkehrt, kippt auf einmal alles. Sie flüchtet sich in einen Drogenrausch, der ihr für einen Moment die Welt ausblendet. Aber eben auch nur für einen Moment. Denn Luna steht vor einer Entscheidung, die ihr Leben verändern wird. Wir sehen nicht nur ihren Schmerz, sondern auch ihre Hoffnung. Es ist Coming-of-Age wie man es selten so sensibel erzählt sieht. Im Q&A spricht Regisseur Adrian von der Borch darüber, was er zeigen möchte: Die Frage, was junge Menschen eigentlich auf der Straße hält, selbst wenn sie aus stabilen Verhältnissen kommen. Was fehlt im Leben, das sie draußen suchen? Nichts sollte im Film landen, nur um zu schockieren oder zu sensationalisieren.
In Days of Night soll es nicht um die Prostitution oder Drogen gehen, sondern darum das Leben einer komplexen, jungen Frau authentisch darzustellen. Man merkt, dass Days of Night definitiv ein Herzensprojekt ist. Ein Film, der lange nachklingt. Susanna Mönchenberg
Faustyna
Faustyna. Beim Titel des Kurzfilms denken manche zuerst an Goethes Faust. In Polen war Maria Faustyna Kowalska aber eine Klosterschwester, die im Jahr 2000 heiliggesprochen wurde. Der Film selbst zeigt keine Nonne, dafür die ebenfalls 2000 geborene Faustyna – eine starke, junge und vor allem heilende Frau. Regisseurin Natalia Dutkiewicz bringt mit ihr eine bewegende Geschichte auf die Leinwand, die bis in Mark und Knochen auf die eigenen Emotionen wirkt. Während man die Protagonistin auf ihrem Weg durch Trauma, Tanz und Therapie begleitet, erschaffen Panorama-Shots und starke Farbpaletten eine andächtige Atmosphäre. Was also findet man, wenn man nur tief genug nach sich selbst sucht? Franziska Merk